Das Volk der Ewigkeit kennt keine Angst: Roman (German Edition)
Wenn man eine Geschichte erzählt, die man oft gehört hat, erinnert man sich manchmal an alle Gelegenheiten, wo man sie schon mal gehört hat, und sagt sich, dass sie vielleicht nicht ganz richtig ist, und dann sagt man sich, dass man selbst vielleicht auch nicht ganz richtig ist. Vielleicht ist man die Tochter einer anderen Frau. Wichtig ist nur, dass meine Mutter zur Flugsicherungsleitung kam. Keiner konnte es fassen, aber sie schaffte es. Der Luftwaffenstützpunkt, auf dem sie stationiert wurde, hatte weder ein Theater noch eine Kegelbahn oder ein Schwimmbad. Er lag an einem Strand. Für sie war das der schönste Strand der Welt. Nicht nur Israels, sagte sie. Der Welt. Einmal haben wir in einer Zeitschrift das Foto eines einsamen Strands auf Sansibar gesehen. Sie sagte, der Sinaistrand, wo sie gedient hatte, hätte so ausgesehen, hätte aber noch mehr gehabt. Ich fragte, wie sie das meinte, aber sie sagte nur, er hätte von allem mehr gehabt.
Als sie mit dem Bus von der Zuteilungsstation zum Flughafen von Tel Aviv fuhr, kannte der Busfahrer sie. Er kannte ihren Vater. Das war der Preis, den man zahlte, wenn der eigene Vater für die Busgesellschaft arbeitete. Nirgends kam man ohne die Hilfe derer hin, die den Mann kannten, der einen großgezogen hatte. Man konnte nie so tun, als wäre man Tourist. Das Land und seine Straßen ergriffen Besitz von einem.
Der Busfahrer fragte, wie es ihrem Vater gehe und wo sie diene. Er fragte sie, schimpfte dann aber sofort mit einer Passagierin, die ihn aufgefordert hatte, verdammt noch mal endlich abzufahren. Die Passagierin war ebenfalls Soldatin, sah aber so aus, als hätte sie schon viel länger gedient als meine Mutter. Ihre Uniform war auf ihre Maße zugeschnitten.
Meine Mutter wollte nicht unhöflich sein. Sie saß hinter dem Busfahrer, während er der Mädchensoldatin androhte, wenn sie ihn noch einmal anmachte, würde er sie aus dem Bus werfen. Meine Mutter fühlte sich gut, so gut, weil sie mit ihrem neuen Militärausweis Bus fahren konnte und nicht mehr den alten vorzeigen musste, den sie ihr ganzes Leben gehabt hatte. Den orangen Ausweis, der sie als Tochter eines Mitarbeiters der Busgesellschaft auswies. Meine Mutter hat in ihrem Leben nur einmal eine Busfahrkarte bezahlt, und das war an dem Tag, an dem sie mich zur Armee fuhr und nicht den Wagen nehmen wollte, weil sie Angst davor hatte, allein zurückzufahren. Als ihr Vater pensioniert wurde, war sie schon mit einem Mann verheiratet, der einen Firmenwagen hatte, also musste sie nie mehr Bus fahren. Dank diesem Firmenwagen. Der kein Firmenwagen der Busgesellschaft war. Sondern der Wagen eines Unternehmens, das Teile herstellte, die in Maschinen eingebaut wurden, mit denen man Flugzeuge baute.
Sie dachte, der Fahrer hätte sie vergessen, aber als er den Bus anließ, war er ha-ha-wütend auf sie. Die einzigen Witze, die meine Mutter bis dahin von Männern und Jungen zu hören bekommen hatte, waren Ha-ha-wütend-Witze. Der Verkäufer auf dem Markt war ha-ha-wütend auf sie, weil sie für das Essen am Sabbat seinen besten Fisch kaufte. »Du Gaunerin! Du hast meinen besten Fisch genommen! Was werden meine anderen Kundinnen sagen? Ha-ja, jetzt bin ich aber wütend.« Der Milchmann, von dessen Wagen sie gefallen war, als sie sich die Nase brach. »Du Gaunerin! Was kletterst du überhaupt auf meinen Wagen? Wenn dich jemand fragt, wie du dir die Nase gebrochen hast, wirst du ab jetzt immer sagen, du wärst von meinem Wagen gefallen, und alle werden glauben, ich wäre ein schlechter Fahrer! Ha-ha, jetzt bin ich aber wütend.« Sie hatte vier Schwestern, keine Brüder, und besuchte eine religiöse Mädchenschule. Nicht weil sie religiös gewesen wäre, sondern weil sich ihre Schwester geweigert hatte, weiter auf die Staatsschule zu gehen, nachdem ihr ein Junge dort einen Ha-ha-wütend-Witz erzählt und ihr dann auf die Haare gespuckt hatte. Deshalb wurden von da an alle Schwestern auf eine religiöse Schule geschickt, denn die älteste Schwester ist immer die Stärkste. Der Vater meiner Mutter erzählte keine Witze, nicht mal Ha-ha-Ich-bin-wütend-Witze, weil er nämlich sein ganzes Leben lang wütend war.
»Wie jetzt? Kaum bist du Soldatin, bist du dir zu gut, um die Frage eines Onkels zu beantworten?«, fragte der Busfahrer. Er war ha-ha-wütend. Er war nicht ihr Onkel, aber er kannte ihren Vater, und deshalb nannte er sich ihren Onkel. »Wie geht’s deinem Vater? Wo dienst du?«
Der grüne Uniformkragen scheuerte
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