Das volle Risiko
wie haben Sie mich aus diesem Haufen Leute sofort herausgefunden?“
Er grinste. „Och, das gelingt mir fast immer auf den ersten Blick.“
„Wie machen Sie das eigentlich?“
Wieder grinste er und antwortete dann mit langgezogenem texanischem Akzent: „Wissen Sie, genaugenommen habe ich nicht Sie herausgefunden, sondern Sie mich.“
„Nanu! Da bin ich aber neugierig.“
„Das ist eine Sache der Psychologie“, meinte er. „Ich setze mir einen Cowboyhut auf, stehe ganz vorn am Eingang, bin tief gebräunt, weil ich mich sehr viel im Freien aufhalte.
„Ankommende Gäste wissen natürlich, daß sie abgeholt werden, und fragen sich, wie sie wohl den Abholer am besten herausfinden und ob auch ein Wagen für die Fahrt zur Ranch da sein wird. Mit all diesen Überlegungen sehen sie mich hier stehen, schauen mal wieder weg und sofort wieder zu mir zurück. Ich höre es fast, wie sie zu sich sagen: ,Würde mich wundern, wenn das nicht der Mann ist, der mich hier abholen soll.’“
Kramer grinste erneut.
„Sie sind ein guter Psychologe“, erwiderte ich.
„Auf einer Gästeranch braucht man diese Fähigkeit jeden Tag“, antwortete er.
„Haben Sie Psychologie studiert?“
„Um Gottes willen, nein!“
„Was finden Sie denn daran so schrecklich?“
„Wenn jemand erst merkt, daß man ihm psychologisch beikommen will, dann ist es viel schwerer, etwas bei ihm zu erreichen.“
„Aber vorhin haben Sie doch gesagt, daß Sie psychologisch vorgehen.“
„Ihr Fall liegt auch anders. Sie haben mich gefragt: ,Wie haben Sie mich sofort aus der Menge herausgefunden?’ Die meisten Leute aber sagen: ,Ich habe Sie gleich erkannt, Mr. Kramer. Als ich Sie sah, wußte ich sofort, wer Sie sind.’“
Ich ließ es dabei bewenden.
Wir gingen zur Gepäckabfertigung und holten meine Koffer, die Kramer zu einem geräumigen Kombiwagen trug, den eine farbenfrohe Malerei zierte: ein Farmhaus, zu dem ein gewundener Weg führte, auf dem Cowboys in malerischer Tracht entlangritten. Außerdem stand auf einer Seite der Karosserie in großen Buchstaben: ,Butte-Valley-Gästefarm.’ Auf die rückwärtige Tür des Wagens war ein sich aufbäumender Mustang aufgemalt, auf der anderen Längsseite des Fahrzeugs prangte das Bild einer lustig gestimmten Reiterparty, daneben ein Swimming-pool mit hübschen Mädchen in enganliegenden Badeanzügen.
„Sie müssen ja einen talentierten Künstler auf der Ranch haben“, bemerkte ich, während mein Blick über die Bilderwanderte.
„Diese Malerei macht sich bezahlt“, erläuterte Kramer. „Jedesmal, wenn ich zur Stadt fahre, um Vorräte einzukaufen, parke ich den Wagen in einer belebten Gegend. Wie Sie sehen, ist dort an der Seite ein Behälter mit Broschüren über unsere Ranch angebracht. Es ist erstaunlich, wieviel Kundschaft wir dadurch bekommen.“
„Leiten Sie die Farm?“
„Nein, ich arbeite dort.“
„Sie haben doch bestimmt einen Spitznamen, mit dem man Sie ruft. Ich möchte wetten, daß man Sie nicht ,Kramer’ nennt, oder doch?“
„Nein“, antwortete er und setzte dabei sein mir schon vertrautes Lächeln auf. „Sie rufen mich ,Buck’.“
„Ist das eine Abkürzung Ihres Vornamens?“
„Mein Vorname ist Hobart. Können Sie sich vorstellen, daß man mich ,Hobe’ nennt?“
„Ich könnte mir vorstellen, daß viele Leute sie ,Tex’ rufen.“
„Wir sind hier in Arizona“, antwortete er.
„Und ich glaubte, bei Ihnen einen leichten texanischen Akzent herausgehört zu haben.“
„Das erwähnen Sie lieber niemandem gegenüber“, sagte er, während er mein Gepäck hinten im Kombiwagen verstaute. „Kommen Sie, es wird Zeit, daß wir abfahren.“
Wir fuhren aus Tucson hinaus in die Wüste und dann in Richtung der Berge, die sich im Süden und Osten erhoben.
Unterwegs erläuterte Kramer mir die Wüstenlandschaft, sprach von der gesunden Luft in dieser Gegend, aber nicht mehr von sich selbst und auch kaum von der Gästefarm.
Nach einer recht langen Fahrt kamen wir schließlich durch ein riesiges offenes Tor, einen leicht ansteigenden Hang empor und hielten nach einer Biegung vor einem romantisch anmutenden Gästehaus am Fuße der Berge, die durch die Schatten der Dämmerung in ein tiefes Purpur getaucht waren.
Kramer parkte den Wagen und sagte: „Ich trage das Gepäck gleich in Ihr Zimmer, und dann werde ich Sie mit Dolores Ferrol bekannt machen.“
„Wer ist das?“ fragte ich. „Die Geschäftsführerin?“
„Die Hausdame. Sie begrüßt jeden Gast und
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