Das volle Risiko
Donald, wenn ich mich an den Spieltisch setze, dann kenne ich alle Karten.“
„Von vorn oder von hinten?“
„Ein guter Spieler braucht die Karten nicht zu zinken“, antwortete sie. „Übrigens, Donald: Um eines möchte ich Sie recht herzlich bitten. Wenn meine Chefin jemals erfahren würde, daß ich hier noch einer Nebenaufgabe nachgehe, dann könnte das recht übel für mich werden. Ich muß Sie also bitten, mein Geheimnis zu wahren.“
„Ich gehöre nicht zu den Leuten, die viel reden.“
„Darauf allein kommt es nicht an; wir müssen uns absichern. Wir werden uns über unsere Spezialaufgabe zu unterhalten haben, und damit dies geschehen kann, ohne daß es Argwohn erregt, müssen Sie Ihre Rolle entsprechend gut spielen.“
„Was für eine Rolle?“
„Es muß so aussehen, als seien Sie schrecklich verschossen in mich. Ich dagegen werde zu erkennen geben, daß ich Sie zwar ganz gern mag, mir jedoch immer der Tatsache bewußt bleiben, daß meine Pflichten als Hosteß es verbieten, mich einem der Gäste mehr zu widmen als den übrigen. Meine Aufgabe ist es, hier gewissermaßen der Sonnenschein für alle zu sein.“
„Sie werden so tun, als ärgerten Sie sich darüber, demonstrieren ein wenig Eifersucht und lassen die anderen erkennen, daß Sie immer wieder auf eine günstige Gelegenheit warten, mich beiseite zu nehmen und mit mir allein zu sein. Wenn Sie über meinen Vorschlag ein wenig nachdenken und ihn aus meiner Perspektive sehen, werden Sie wissen, was ich damit bezwecke. Ich kann es mir wirklich nicht leisten, daß irgend jemand auf die Idee kommt, ich hätte noch eine ganz andere Aufgabe hier zu erfüllen.“
„Wem gehört denn diese Farm?“ fragte ich.
„Shirley Gage, der Witwe von Leroy Willard Gage. Die Frau hat dieses Haus geerbt und schlägt durch den Betrieb der Gästefarm mehr Geld heraus, als wenn sie es verkaufen und von den Zinsen leben würde. Sie liebt ein geselliges Leben. Die älteren männlichen Gäste finden bei ihr — nun, wie soll ich es ausdrücken...“
„Nun, was finden sie bei ihr? Sprechen Sie schon, zieren Sie sich nicht.“
„Ich nehme mich der jüngeren Gäste an und bin darauf bedacht, daß es ihnen an nichts fehlt und sie sich hier wohl fühlen. Und Shirley gibt sich mit den älteren Herren viel mehr ab als ich mit den jüngeren.“
„Soll das bedeuten, daß sie sich einsam fühlt und Gesellschaft sucht?“
Dolores mußte herzhaft lachen und lenkte auf ein anderes Thema über. „Kommen Sie, es ist höchste Zeit für den Cocktail. Gewöhnlich erhält jeder Gast nur zwei Drinks. Es kommt aber darauf an, was er vertragen kann. Die Cocktails sind nicht stark und werden unberechnet serviert. Sie können entweder Manhattan oder Martini trinken. So, Donald, wir müssen jetzt gehen.“
Der Gesellschaftsraum war angenehm erhellt. An den Wänden standen Glasvitrinen mit indianischen kunsthandwerklichen Erzeugnissen. Einige Gemälde von Wüstenlandschaften und handgeknüpfte Navajoteppiche fielen mir auf; das Ganze vermittelte eine typische Westernatmosphäre.
Etwa zwanzig Leute standen zu zweit oder in Gruppen zusammen und tranken ihre Cocktails.
Dolores klatschte in die Hände und rief: „Darf ich für einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten! Hier ist unser neuer Gast, Mr. Donald Lam aus Los Angeles.“
Sie nahm mich bei der Hand und sagte: „Kommen Sie, Donald.“
Es war eine bemerkenswerte Leistung. Obwohl sie manche der Gäste kaum länger als 24 oder 48 Stunden kennen konnte, geriet sie bei der namentlichen Vorstellung keinen Augenblick in die geringste Verlegenheit. Sie stellte mich jedem einzelnen vor, ging dann mit mir zur Bar, veranlaßte, daß ich meinen Cocktail serviert bekam, und mischte sich dann unter die Anwesenden.
Ganz offensichtlich war sie der erkorene Liebling aller Gäste, und sie verstand es ausgezeichnet, bei jedem ein Gefühl des Wohlbehagens zu erwecken. Sie gesellte sich zu einer Gruppe, schaltete sich in die Unterhaltung ein und wechselte dann zu einem anderen ,Stehkonvent’ über, ohne das Gefühl zu hinterlassen, als trenne sie sich vorsätzlich von ihren Gesprächspartnern. Stets hatte sie eine muntere und humorvolle Bemerkung parat, begleitet von einem charmanten Lächeln, das auf die Männer sexy wirkte. Die sanft geschwungenen Hüften in dem enganliegenden Kleid wiegten sich beim Gehen wohlberechnet, aber nicht ausgesprochen aufreizend. Und obwohl dieses Wiegen der Hüften nicht stimulierend wirkte, war etwas
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