Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Super-8-Filmmaterial. Normalerweise filmte mein Vater nämlich alles – und das ausgiebig; in nicht enden wollenden Schwenks über die immer gleichen kargen (= urigen) Landschaften. Diese 360°- Schwenks begannen und endeten immer mit dem Blick auf unseren grünen VW-Bus mit dem gelben Vorzelt und meinem kleinen, blau-roten Zelt daneben. Letzteres war auch gut zu erkennen an der charakteristischen Beule im linken hinteren Eck, weil dort ein kleiner, verängstigter Junge kauerte und im Fieberwahn alles mit LEGOSteinen bewarf, was sich vor dem Eingang zeigte.
Nur, in dem Film von diesem Urlaub sieht man uns im Wesentlichen nur wegfahren, dann folgen ein paar wie oben beschriebene Landschaftsschwenks … und das war’s. Ende.
Dem Film nach zu urteilen, muss der Urlaub also entweder sehr kurz gewesen sein, oder meinem Vater war nicht nach Filmen zumute. Mag sein, dass er dachte, mein Fuß würde nie wieder abschwellen und ich würde rechts für immer Größe 52 tragen. Er wollte wohl kein Beweismaterial schaffen, mit dem ich ihm irgendwann einmal vor Gericht nachweisen könnte, dass er den Vertrauensvorschuss seines eigenen Kindes dafür missbrauchte, um es in Joe Klumpfuß zu verwandeln.
Vielleicht interpretiere ich hier doch zu viel hinein und er hatte einfach nur zu wenig Filmmaterial mitgenommen … oder die Batterien der Kamera waren mal wieder leer. Denn erstens waren Mitte der siebziger Jahre Fotogeschäfte und Elektrohändler dünner gesät als heute. Und zweitens gab es dort, wo mein Vater für gewöhnlich unser Lager aufschlug, keine Geschäfte; es gab ja manchmal kaum Straßen.
Denn was ist bitteschön urig an Asphalt? Genau: nix.
Das Kapitel, welches Sie gerade gelesen haben, ging aus den ersten Zeilen hervor, die ich für dieses Buch zu Papier brachte. In einer Mischung aus Rachegelüsten und Schuldbewusstsein überreichte ich den Text meinem Vater an meinem achtunddreißigsten Geburtstag mit dem Hinweis auf ein geplantes Buch und den Titel: »Das Vorzelt zur Hölle«. Er las es sofort interessiert durch und lachte dabei mehrfach herzlich. Ich weiß gar nicht, welche Reaktion ich eigentlich erwartet hatte, aber sicher nicht diese: »Lustig, ja, so war das, aber da würd’ ich gern was dazu sagen.«
»Raus damit«, wollte ich antworten, hatte aber im gleichen Moment eine Idee und sagte stattdessen: »Weißt du was? Schreib’s auf, und ich pack’s mit ins Buch.«
In der Tat bekam ich ein paar Tage später eine Mail von meiner Stiefmutter Renate Krappweis mit einem Text von Papi im Anhang.
Zwischenruf
von Werner Krappweis (67)
A n dieser Stelle ist es wirklich an der Zeit, meinen Sohn einmal zu unterbrechen und die Dinge aus meiner Sicht zu schildern. Ich will ja gar nicht in Abrede stellen, dass mein Sohn Tommy so ganz anders als unser jüngeres Kind Nico nie Gefallen am Camping fand. Es stimmt auch, dass wir immer Schwierigkeiten hatten, ihm die Urlaube schmackhaft zu machen. Und nicht nur diese, eigentlich wehrte sich unser Tommy gegen alle Unternehmungen, Ausflüge, Ski- oder Radtouren und wollte eigentlich immer zu Hause bleiben. Früher machten wir uns Sorgen, wenn er wochenlang in seinem Zimmer mit der Super-8-Kamera Bild für Bild Legosteine oder Playmobil animierte, während die anderen Kinder draußen Fußball spielten. Heute weiß ich, dass das der Grundstein für seinen Beruf war, und ich freue mich, ihm mit unseren Abenteuern so viel Inspiration verschafft zu haben.
Bevor ich direkt auf die obige Geschichte Bezug nehme, erst einmal Folgendes ganz generell vorneweg: Die schönste Zeit im Jahr war für meine damalige Frau Karin und mich immer der Campingurlaub. Es gab nichts Schöneres für uns, in meinem selbst ausgebauten, damals schon zweiundzwanzig Jahre alten VW-Bus mit Kind beziehungsweise Kindern irgendwo ans Meer zu fahren. Und kaum waren wir braungebrannt und ausgeruht zurückgekehrt, kreisten unsere Gedanken auch schon um den bevorstehenden Skiurlaub. Wie aus der Verbindung aus zwei so aktiven, bewegungsfreudigen Naturfreunden ein Kind wie unser Tommy entstehen konnte, verwundert mich ehrlich gesagt schon ein bisschen. Allerdings tendiert mein Sohn natürlich schon allein von Berufs wegen zur Übertreibung, und ich freue mich über die Gelegenheit, hier ein paar Dinge ins rechte Licht zu rücken.
An die von meinem Sohn oben beschriebene Reise kann ich mich sogar noch gut erinnern. In diesem Jahr ging die Reise nach Jugoslawien, dem heutigen Kroatien, in die Nähe der
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