Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Vorzelt, und dort stand es herum, bis es wieder Zeit war für die Heimreise. Und warum? Nun, die Begründung meines Vaters für das Verbot lautete immer gleich, und zwar: »Ja, wer leert’s denn aus? Du?«
Und da hatte er in der Tat einen wunden Punkt getroffen. Denn das Leeren des Chemietanks mit den halb zerfressenen Fäkalien darin war in der Tat mehr als ekelhaft. Somit fügte ich mich dem Absurdum und nützte das Campingklo in der Tat nur für die akutesten Notfälle wie zum Beispiel die wöchentlich anstehende Durchfallerkrankung.
3.Taschen mit Zeugs
Allerdings standen die nur in den ersten Jahren herum. Danach hatten wir eine zweite Sonnenliege, um auch diese Taschen zu retuschieren.
Gegen Aufbau und Bestückung des Vorzelts nahm sich mein eigenes kleines Zelt daneben recht harmlos aus. Das einzig Erwähnenswerte daran waren die mitgelieferten Heringe, die sich schon beim Auspacken verbogen, und der leicht schief vernähte Reißverschluss am Eingang, der sich immer in dem Fliegennetz verhakte. Aber ich war einfach nur dankbar für diese rot-blaue Zuflucht und verbrachte tatsächlich die meiste Zeit der Urlaube dort drin mit Lesen, Kassettenhören oder selbstvergessenem Legospielen. Und mir fällt gerade auf, dass für mich nie ein Stück Moosgummi-Teppich übrig war. Kann aber auch sein, dass ich keinen wollte.
So hatten wir also mit Einbruch der Dunkelheit auch unser Lager finalisiert und konnten uns nun endlich ganz entspannt den Freuden des Campingurlaubs hingeben. Und damit ging der Wahnsinn erst richtig los …
Kann Wasser urig sein?
D ie Antwort gleich vorweg: Für meinen Vater kann Wasser sehr wohl urig sein. Für mich bedeutete urig in diesem Fall irgendetwas zwischen düster und gefährlich. Das trifft außerdem auf so ziemlich jede Art von Wasser zu, die ich auf unseren familiären Campingtrips näher kennenlernen durfte.
Konsequenterweise präsentierte sich mir das Meer schon sehr früh von seiner heimtückischsten Seite. Eine meiner ersten Erinnerungen an das Meer ist irgendeine Art Strand, der die Bezeichnung nur verdient, weil dort Land an Wasser grenzt, und mein Vater, der auf mich einredet, mit ihm ins Meer zu gehen. Es muss ziemlich lange gedauert haben, aber irgendwie hatte er mich dann letztlich wohl doch rumgekriegt; denn sonst hätte mir die Feuerqualle ja nie ihr Gift injiziert. Tat sie aber, und das dem Anlass angemessene Gebrüll war ein weithin hörbarer Beweis dafür. Dafür allerdings weigerte sich ein kleiner, blonder, etwa vierjähriger Junge die nächsten Tage besonders vehement, sein Zelt zu verlassen.
Ich kann mich noch sehr gut an die irrsinnige Hitze in meiner rachitischen Dackelgarage erinnern und daran, dass ich verzweifelt versuchte, mit meinen Legosteinen zu spielen, was mir aber aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit nicht so recht gelingen wollte. Das mochte vielleicht an den Nebenwirkungen des Medikaments liegen, die mir irgendein Schweinedoktor gegen den nässenden Ausschlag und die verbrennungsartigen Schmerzen in den nächstbesten Muskel geschmettert hatte.
Ich mache es ausnahmsweise kurz: Wie das bei Kindern so ist – irgendwann war der Ausschlag weg, die Erinnerung an den Schock und die Schmerzen verblasste vor dem Hintergrund neuer perfider Versprechungen, und ich ließ mich doch glatt ein zweites Mal von meinem Vater ins Wasser locken …
Es mag dem geneigten Leser nicht schwerfallen, sich vorzustellen, was mir so durch den Kopf ging, als ich auf den schwarzen Stachel blickte, der recht überraschend mitten auf meinem Fuß gewachsen war. War er natürlich nicht, sondern ich war nur zwei Meter vom Ufer entfernt in einen langstacheligen Seeigel getreten. Das ist die letzte Erinnerung, die ich an diesen Urlaub habe … abgesehen von irgendwas Verwaschenem, Buntem mit viel Hall. Allerdings war ich damals ja noch recht klein, und das war eben das im wahrsten Sinne hervorstechendste Abenteuer dieses einen Urlaubs.
Bei der Recherche zu diesem Kapitel identifizierte ich das Tier übrigens als einen sogenannten Diadem-Seeigel. Er zeichnet sich durch besonders lange Stacheln aus, die sehr leicht brechen und darum schwer wieder aus dem Fuß zu entfernen sind, was zu eiternden Wunden führt. Außerdem geht man von einem neurotoxischen Gift auf den Stacheln aus, da der Schmerz beim Erwachsenen bis zu vier Stunden andauert. Ja, das klingt nach meinem Kandidaten.
Seltsamerweise gibt es ausgerechnet von diesem Campingtrip kaum Fotos und nur sehr wenig
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