Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Zeltes war leicht angeschrägt, und der hintere Teil musste kerzengerade sein, um mit der Seite des Busses abzuschließen. Können Sie noch? Fein, weiter: Der Unterschied bei den Winkeln war nämlich so minimal, dass man ihn mit bloßem Auge nicht erkannte. Erst wenn man alle Stangen ineinandergesteckt und die kleinen rostigen Flügelmuttern mit einer Zange aufgeknackt hatte, um die Stangen auseinanderzuschieben, stellte man fest, dass da wohl ein bis zwei Winkel falsch positioniert waren: Das Ding stand irgendwie schief und ließ sich nicht begradigen.
Die Deutung, welcher der sechs Winkel jetzt richtig und welcher falsch war, führte jedes Mal zu angeregten Diskussionen. Deutlich angeregter wurde allerdings der Disput, wenn man sich schließlich einer Meinung beugte, das Gerüst wieder abließ, es auseinander- und danach vermeintlich korrigiert wieder zusammenbaute, um dann festzustellen, dass man einer weiteren Fehleinschätzung aufgesessen war. Unser Rekord lag bei viermal falsch, und trotzdem vergaßen wir beim Abbau jedes Mal, die Winkel irgendwie zu markieren, um uns beim nächsten Mal den Ärger zu ersparen. Spätere Markierungsversuche mit Klebeband waren nicht von Dauer, und auch das Einritzen in den Lack der Stäbe hielt nur so lange, bis selbiger heruntergerostet war.
Stand das Gerüst schließlich, musste es noch exakt so positioniert werden, dass sich der Durchgang von Zelt zu VW-Bus an genau der richtigen Stelle befand. Das gestaltete sich vor allem in den ersten Jahren ohne meinen kleinen Bruder besonders anspruchsvoll, denn versuchen Sie mal, zu dritt ein Zelt dieser Größe an seinen vier Eckstangen hochzuheben und zentimetergenau auszurichten. Merken Sie was? Ja, wir auch – und zwar jedes Mal. Vielleicht war das der eigentliche Grund, warum meine Eltern sich schließlich für ein weiteres Kind entschieden hatten. Wenn ich ehrlich bin, könnte ich diesen Gedanken sogar nachvollziehen. Denn wenn das Vorzelt nicht hundertprozentig richtig stand, gestaltete sich die folgende Aufgabe als ein Ding der physischen wie psychischen Unmöglichkeit:
Das Verbinden von Vorzelt und Bus
Dramatischer Tusch in Moll, Blitz erhellt das Gesicht des Autors, Donner grollt
Schon die Erinnerung macht mich nervös …
Okay, also los: An dem grünen Bus und später auch an seinem gelben Pendant gab es eine schmale, scharfkantige Regenrinne. Diese stellte zugleich auch die einzige Möglichkeit dar, ein Vorzelt so am Auto zu befestigen, dass im Falle eines Regenschauers an der Verbindung kein Wasser hineinlief. So weit, so theoretisch gut. In der Praxis war das Hineinwürgen der Regenrinne in die dafür vorgesehene Plastiknut des Vorzelts eine solch entnervende Plackerei, dass die zwölf Taten des Herkules dagegen wie Topfschlagen wirken. Als ich noch jünger war, wunderte ich mich immer, warum mein Vater so arg schimpfte, wenn er da am Gepäckständer festgeklammert mit einem Bein in der Autotüre balancierte und mit der freien Hand an diesem Gummiding herumwalgte. Kaum war ich herangewachsen genug, um beim Aufbau des Vorzelts mithelfen zu müssen, sprach mir jeder einzelne Fluch aus der Seele.
Für Nichtcamper wähle ich mal ein Beispiel: Kennen Sie diese Momente, wo einem zum Beispiel ein Schlüssel hinter die eingebaute Waschmaschine in der Dachschräge fällt und man ihn nur wieder herausholen kann, wenn man entweder das Dach abdeckt oder etwas »langes Dünnes« mit einem Magneten bestückt, um den Schlüssel dann nur durch Geduld und Glück herauszufischen? Stellen Sie sich dazu bitte noch vor, sie müssten halb auf der Waschmaschine liegen, hätten aber keinen Platz für den Kopf. Dazu pappt der Magnet immer an der Rückseite der Waschmaschine fest und nicht am Schlüssel, und Sie drehen langsam, aber sicher durch, obwohl Sie wissen, dass innere Ruhe und Gelassenheit für den Erfolg der Operation unabdingbar sind.
So in etwa fühlt man sich, wenn man versucht, eine plastikgewordene Inkarnation der Unmöglichkeit in etwas zwanzig Millimeter Breites und mehrere Meter Langes entlang eines VW-Busses zu würgen. Ohne Leiter.
Wenn es dann auch noch regnete, war mein Bedarf an Camping bis in die übernächste Inkarnation mehr als gedeckt. So stimmte auch ich alsbald in den urlaubsübergreifenden Kanon ein und rief aus tiefstem Herzen: »Ja Himmeherrgott-Sagglzement-Kreizdeife-Birnbaum-und-Hollerstaudn, i wea varruggd!«, während ich von der einen und mein Vater von der anderen Seite mit verkrampften Fingern und
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