Das Wahre Kreuz
Ihnen?« herrschte ich ihn an. »Wie ist es da-zu gekommen?«
»Wie du weißt, wurde Bonaparte vor einigen Monaten in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen, der auch ich angehöre. Wir haben uns bei der Aufnah-mefeier kennengelernt, und ich habe ihm von meinen Forschungen über das Wahre Kreuz erzählt, denn ich wollte nach Ägypten mitgenommen werden. Bonaparte hat mir eine Zusage gemacht. Er hatte schnell erfaßt, daß das Kreuz ihm bei seinem Orientfeldzug von unschätzbarem Nutzen sein kann.«
»Aber was haben Sie davon, wenn Sie das Kreuz Bonaparte überlassen?«
»Er hat mir versprochen, im Gegenzug die Rechte der Kirche zu stärken, wenn wir nach Frankreich zu-rückkehren. St. Jacques soll wieder Kloster werden und alle Ländereien zurückerhalten. Und Bonaparte will mich wieder als Abt einsetzen.«
»Kann er das überhaupt? Im Direktorium wird es kaum eine Mehrheit für eine Stärkung der Kirche geben.«
»Wenn Bonaparte diesen Feldzug gewinnt, wird er als gefeierter Held heimkehren. Seine Ambitionen sind groß, kein Direktorium wird ihn dann noch aufhalten können.«
»Sie spielen ein doppeltes Spiel, Onkel«, sagte ich nach einigem Überlegen. »Sie haben das Wahre Kreuz erst Bonaparte und jetzt den Rittern vom Verlorenen Kreuz versprochen. Welches Versprechen werden Sie halten?«
»Das hängt davon ab, wie die Dinge sich entwickeln.
Es ist besser, zwei Eisen im Feuer zu haben als keins.«
Ich sah ihm tief in die Augen. »Was bin ich für Sie?
Auch ein Eisen, das Sie schmieden, solange es heiß ist?«
»Ich verstehe nicht.«
»Sie wollen nicht verstehen, denke ich. Daß zwischen dem Wahren Kreuz und mir eine Verbindung besteht, ist wohl kaum ein Zufall, oder? Geben Sie zu, daß Sie davon gewußt haben, schon in Frankreich!«
Er zögerte erst, nickte dann aber. »Das gebe ich zu.«
»Und seit wann wissen Sie es?«
»Seit der Zeit in St. Jacques.«
»So lange?« staunte ich.
»Du bist schlafgewandelt und hast erstaunliche Dinge erzählt über die Kreuzzüge, die Schlacht von Hattin und das Wahre Kreuz. Die anderen Jungen im Schlaf-saal haben es nicht verstanden und sich geängstigt. Ich habe mir damals so manche Nacht mit dir um die Ohren geschlagen, und du hast mir vieles erzählt, woran du dich am nächsten Tag nicht mehr erinnern konntest.
Es war wie ein zweites Leben, das in dir schlief und nachts in deinen Träumen erwachte. Dann warst du ein anderer, der Kreuzfahrer Roland de Giraud. Ich habe ein ganzes Notizbuch mit deinen Erzählungen gefüllt.
Seitdem habe ich gewußt, daß du mich eines Tages zum Wahren Kreuz führen würdest.«
»Ich erinnere mich an nichts.«
»Irgendwann war es vorüber. Du hattest dir alles von der Seele geredet und schienst befreit zu sein.«
Meine Enttäuschung über den Mann, den ich als meinen Onkel, als zweiten Vater gar, betrachtet hatte, wuchs ins Unermeßliche.
Ich spürte einen dicken Kloß im Hals und sagte mit erstickter Stimme: »All die Jahre haben Sie mich also belogen; haben Sie so getan, als hätten Sie mich gern.
Entweder bin ich sehr einfältig, oder Sie sind der beste Schauspieler der Welt!«
Meine Worte schienen ihn sehr getroffen zu haben.
»Aber das stimmt nicht, Bastien! Vom ersten Tag an warst du wie ein Sohn für mich. Warum sonst hätte ich damals die Nächte durchwachen sollen? Dein Wohler-gehen hat mir immer am Herzen gelegen!«
»So wie das Wahre Kreuz«, sagte ich gallig. »So sehr, daß Sie mich mit nach Ägypten genommen haben, ohne mir den Grund zu verraten.«
»Du wirfst mir Verrat vor? Ich bin ein Mann der Kirche, bin auch ihr verpflichtet. Vielleicht weiß die Kirche, warum sie ihren Priestern und Ordensangehörigen Ehe und Familie untersagt. Es gibt Momente, da kann man nicht beides unter einen Hut bringen. Ich habe es versucht und scheine gescheitert zu sein. Vielleicht hast du recht, und ich hätte dich viel eher einweihen sollen. Aber ich wollte, daß du unbelastet bist. Wä-
rest du ins Morgenland gekommen, um krampfhaft nach deinem anderen Leben zu suchen, hättest du es vielleicht gerade nicht gefunden.«
Noch immer ruhte mein Blick auf ihm. Er wirkte ehrlich bekümmert, aber vielleicht war auch das gut gespielt.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, sagte ich schließlich.
»Mein Herz will Ihnen Glauben schenken, Onkel, mein Verstand aber zweifelt.«
Wir ließen uns auf die Lager nieder, waren jedoch zu aufgewühlt, um uns zum Schlafen hinzulegen. Ich saß neben Ourida und hielt sie im
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