Das Wahre Kreuz
Arm, was uns beiden guttat. Onkel Jean starrte die gegenüberliegende Wand an, aber mit einem Ausdruck, als blicke er eigentlich tief in sein eigenes Inneres. Meine Vorhaltungen schienen ihn wirklich getroffen zu haben. Doch ich hatte gerade erst erfahren, daß ich ihn nicht wirklich kannte, und so hätte ich auch in diesem Moment nicht sagen können, was ihn tatsächlich bewegte. Plötzlicher Lärm ließ uns aufhorchen: Pferdehufe, Schreie, das Klirren von Waffen. Es gab keinen Zweifel, draußen auf dem Burghof wurde gekämpft!
38. KAPITEL
Die letzten Krieger
st das Bonaparte?« fragte ich meinen Onkel, wäh-I rend wir dem Kampflärm lauschten. »Ist er Ihnen gefolgt?«
»Unmöglich. Du hast mich nicht bemerkt, weil ich allein war. Ein ganzer Trupp französischer Soldaten könnte niemals unbemerkt einem Mann zwei Tage lang durch die einsame Wüste folgen. Außerdem höre ich keine Kanonen, nicht einmal Musketen.«
Das war mir noch gar nicht aufgefallen, aber er hatte recht. Es war nur das Klirren von blanken Waffen zu hören, als hätten die Zeiten sich überschnitten und Kö-
nig Guidos Gefolgsleute kämpften gegen Saladins Truppen.
»Eure Soldaten sind zu laut, zu bunt und zu unge-schickt, um in der Wüste unsichtbar zu sein«, sagte Ourida. »Andere aber, die Söhne der Wüste, haben von Kindheit an gelernt, mit ihr zu verschmelzen.«
»Was heißt das?« fragte ich nach. »Weißt du, wer dort oben kämpft?«
»Ich habe nur eine Ahnung, und ich hoffe, sie ist richtig!«
Eilige Schritte näherten sich unserer Zelle, und in der Hoffnung auf baldige Befreiung standen wir auf. Der Riegel knarrte, als er zurückgeschoben wurde, und die Tür ging auf. Vor uns stand ein Mann im schwarzweißen Habit der Ordensritter, ein Mann mit gräßlich verunstaltetem Gesicht: Roger de Montjean. In der Rechten hielt er ein Schwert, dessen Klinge noch feucht war von Blut.
»Ihr seid Verräter und habt unsere Erzfeinde zu uns geführt!« brüllte er. »Aber dafür werdet ihr büßen, alle drei! Auch du, Beduinenhexe! Dich wollte ich schon in deinem unterirdischen Versteck töten, weil ich weiß, wie gefährlich du bist. Wäre der Großmeister nicht dafür eingetreten, dich am Leben zu lassen, hättest du hier keinen Tag überlebt. Aber jetzt ist deine Zeit abge-laufen. Dein Allâh hat dich verlassen!«
Mit erhobenem Schwert sprang er auf Ourida zu. Ich stieß sie zur Seite und warf mich ihm in den Weg, um den Hieb mit meinem Körper abzufangen. Aber bevor er uns erreichte, stürzte de Montjean mit einem Aufstöhnen zu Boden. In seinem Rücken steckte eine Streitaxt.
Es war noch Leben in ihm. Er wollte sich auf die Knie erheben, umklammerte das Schwert mit beiden Händen.
Da stürmte der Mann herein, der wohl die Axt ge-schleudert hatte, der Kleidung nach ein Beduine, und zog die Klinge seines Krummsäbels durch den Hals des Kreuzritters. Ich starrte in de Montjeans weit aufgerissene Augen, die selbst im Sterben noch haßerfüllt waren. Schließlich kippte er zur Seite und blieb reglos in seinem Blut liegen.
Dann heftete ich meinen Blick auf den Beduinen, der uns gerettet hatte, denn ich ahnte, daß ich sein Gesicht kannte. Ich erinnerte mich an den Morgen, an dem Scheik Jussuf mich durch das Tal der Abnaa Al Salieb geführt hatte und ich Zeuge der Waffenübungen geworden war. Einem Beduinen war dabei das linke Ohr abgeschlagen worden. Je länger ich unseren Retter ansah, desto sicherer wurde ich mir, daß unter seinem Kopftuch das linke Ohr fehlte. Ich versuchte, mich an seinen Namen zu erinnern.
»Murad!« sagte Ourida, und es klang wie ein Auf-atmen. »Hat sich meine Hoffnung doch erfüllt! Also sind nicht alle Abnaa Al Salieb tot!«
»Nein, Ourida. Ein paar von uns konnten sich retten, Krieger, Frauen und Kinder, nicht mehr als fünfzig an der Zahl. Wir Krieger wollten kämpfen, aber der alte Abdelmajid hielt uns zurück. Er sagte, wir könnten das Blatt nicht wenden. Die Ehre, im Kampf zu fallen, sei groß, aber die Aufgabe, die Letzten unseres Stammes zu beschützen, sei wichtiger.«
»Abdelmajid ist ein weiser Mann, und ihr wart klug beraten, auf ihn zu hören. Zuweilen erfordert es mehr Mut, nicht in den Kampf zu reiten. Sind die Unsrigen in Sicherheit?«
»Sie lagern, bewacht von fünf Kriegern, an einer Wasserstelle, die nur uns bekannt ist. Wir anderen zwölf Krieger haben Kairo beobachtet und zu Allâh gebetet, er möge uns auf deine Spur führen, Ourida.«
Murad sah meinen Onkel und mich an. »Als wir vor
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