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Das Wahre Kreuz

Das Wahre Kreuz

Titel: Das Wahre Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Kastner
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brachte aber keinen Laut heraus. Seine Augen weiteten sich, dann sackte sein Kopf zur Seite, und jeder Widerstand erlahmte. Der schwere Körper unter mir war nur mehr eine leblose Ansammlung von Fleisch und Knochen.
    Erstarrt wie erkaltetes Blei, so hockte ich auf ihm, vielleicht einige Minuten, vielleicht auch nur wenige Sekunden lang. Die Lebensgefahr, die mich eben noch in größte Panik versetzt hatte, war vorüber, und doch konnte ich mich nicht rühren. Ich hatte einen Menschen getötet, einen Mörder zwar, der zudem auch mir nach dem Leben getrachtet hatte, aber doch einen Menschen.
    Mein Verstand versuchte, das in seiner ganzen Tragweite zu erfassen, und war doch nicht fähig dazu.
    War nicht Gott allein der Herr über Leben und Tod?
    Ich erschauerte bei dem Gedanken, daß ich mich in seine Befugnisse eingemischt hatte.
    Irgendwann wurde ich gewahr, daß Onkel Jean und die Grenadiere vor mir standen. Waren sie durch den Kampflärm angelockt worden, oder hatte ich nach ihnen gerufen? Ich wußte es nicht.

    Ich sah zu, wie sie den Toten hinaus auf die Gasse zogen. Ein Soldat hielt ein brennendes Scheit in der Hand, das er wohl aus einem der Häuser geholt hatte, und gespenstisch flackerndes Licht fiel auf den Leichnam, dessen Brust ebenso blutverschmiert war wie die von Abul. Immer mehr Schaulustige kamen aus den Häusern, ohne daß wir weiter auf sie achteten.
    »Wer war der Mann?« fragte mein Onkel und kniete sich neben den Toten.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Er hat kein einziges Wort gesprochen.«
    »Das konnte er auch nicht«, sagte Onkel Jean, nachdem er den Leichnam kurz untersucht hatte. »Er hat nämlich keine Zunge.«
    »Keine Zunge?« wiederholte ich leise, während ich zu begreifen versuchte, was das zu bedeuten hatte.
    Mein Onkel schob die Kiefer des Toten auseinander, und auf sein Geheiß leuchtete der Soldat mit dem Feuerscheit in den offenen Mund. Tatsächlich konnte ich keine Zunge entdecken.
    So war das eigenartige Knurren vermutlich der einzige Laut gewesen, den der Mann hatte hervorbringen können. Ein Hauch von Mitleid wollte sich in mir regen, aber dann dachte ich daran, daß unter weniger glücklichen Umständen ich an seiner Stelle dort im Schmutz gelegen hätte.
    »Abgeschnitten«, konstatierte Onkel Jean. »Fragt sich nur, ob als Strafe oder als Vorsichtsmaßnahme.«
    »Vorsichtsmaßnahme, Onkel? Sie meinen …«
    »Ganz recht, Bastien. Ein Mörder ohne Zunge kann seinen Auftraggeber nicht so leicht verraten. Da fragt man sich eigentlich, weshalb nicht viel mehr Mörder ohne Zunge herumlaufen.«
    Sergeant Kalfan mischte sich mit dröhnender Baß-
    stimme ein: »Jedenfalls hat den Kerl sein gerechtes Schicksal ereilt. Der Dolch des Mörders hat den Mörder gerichtet.«
    »Ja, der Dolch«, sagte mein Onkel und erhob sich.
    »Darf ich ihn einmal sehen, Bastien?«
    Erst jetzt wurde mir bewußt, daß ich die blutige Waffe noch in der Hand hielt. Froh, sie loszuwerden, reichte ich sie meinem Onkel, der sie eingehend inspi-zierte.
    »Äußerst interessant«, murmelte er schließlich.
    »Was, Onkel?«
    »Der Dolch mag hierzulande geschmiedet worden sein, aber seine Machart ist abendländisch. Wie das Schwert unserer geheimnisvollen Ritter erinnert er mich an mittelalterliche Waffen. Und dann sieh dir das hier an!«
    Ich trat näher und betrachtete den Griff des Dolches, den er mir hinhielt. Wie bei dem Schwert war auch hier auf jeder Seite des Knaufs ein Kreuz eingraviert, einmal von heller und einmal von rötlicher Färbung.

5. KAPITEL
    Absolution
    ch stand mit dem Rücken gegen eine Felswand ge-I lehnt, die Hände krampfhaft um den Griff eines gro-
    ßen Schwerts geklammert. Vor mir lag die endlose Wü-
    ste, und eine ganze Horde von Gegnern umzingelte mich. Orientalen, die mich böse, ja haßerfüllt, anstarr-ten. Alle mit demselben düsteren Blick, mehr noch, mit demselben Gesicht!
    Nicht nur der Gesichtsausdruck war bei allen gleich, nein, sie glichen einer dem anderen so vollständig, wie man es zuweilen bei Zwillingen sieht. Das Gesicht kam mir vertraut vor. Während ich drohend mein Schwert im Halbkreis schwang, um mir die Feinde vom Leib zu halten, dachte ich darüber nach, woher ich dieses Antlitz kannte. Und dann fiel es mir ein: Es war das Gesicht des Mannes, den ich auf dem schmalen Pfad zwischen Kairos Häusern getötet hatte. Kämpfte ich gegen Geister, die der Tote gesandt hatte, um sich zu rächen?
    Die Angreifer hielten jeder nur einen Dolch in der Hand,

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