Das Wahre Kreuz
eine lächerliche Waffe im Vergleich zu meinem Schwert. Und doch konnte ihre Überzahl meinen Tod bedeuten, auch wenn ich das Kettenhemd eines Ritters trug. Ich wollte die Feinde zählen, aber es wurden mehr und mehr. Soweit mein Blick reichte, war die Wüste angefüllt mit jenen dunkelhäutigen Männern – oder einem einzigen Mann in vielfacher Ausfertigung. Im Blick eines jeden las ich dieselbe Feindseligkeit, das Verlangen nach meinem Blut, meinem Leben. Oder war es noch etwas anderes, das sie von mir wollten?
Eine Stimme, flüsternd nur und doch deutlich ver-nehmbar, sagte eindringlich: »Das Kreuz, du muß es behüten! Rette das Kreuz!«
Zunächst dachte ich, nur ich hätte die Stimme vernommen, aber dann kamen mir Zweifel. Denn meine Feinde setzten sich in Bewegung. Langsam kamen sie auf mich zu. Gegen diese Übermacht konnte es nicht die geringste Hoffnung geben, und doch hatte ich keine Angst um mein Leben, nicht mehr. Seit ich die mah-nende Stimme vernommen hatte, gab es für mich nur ein Ziel: Ich mußte das Kreuz beschützen! Entschlossen hob ich das Schwert und trat den Männern entgegen …
Um mich herum war Dunkelheit, nur schwach erhellt von dem milchigen Mondlicht, das durch das Glas der Gartentür hereinfiel. Kalter Schweiß klebte auf meiner erhitzten Stirn, während ich langsam zu mir fand. Ich hatte geträumt, und wie schon einmal, zwei Nächte zuvor, war ich im Traum ein Ritter gewesen, der sich gegen morgenländische Angreifer verteidigte. Und wieder war der Traum unvorstellbar eindringlich gewesen.
Selbst jetzt noch glaubte ich, den Schwertgriff zwischen meinen Fingern zu spüren. Aber ich stand nicht mehr in einer unbekannten Einöde einer Übermacht von Feinden gegenüber. Ich lag in meinem Zimmer in Kairo, in meinem Bett – in Sicherheit.
Wirklich? Zu meiner Rechten nahm ich eine Bewegung wahr und fuhr erschrocken zusammen. Aber es wurde kein Dolch gegen mich erhoben, sondern ein angenehm kühles feuchtes Tuch auf meine Stirn gelegt.
Ich stieß einen wohligen Seufzer aus.
Langsam drehte ich den Kopf zur Seite und blickte in ein schönes Gesicht mit hohen Wangenknochen und dunklen Augen, die mich durchdringend ansahen.
Selbst in dem blassen Mondlicht leuchtete das lange Haar kupferfarben, und mein Blick fiel auf den silbernen Anhänger mit den beiden Rosen und dem arabischen Schriftzug.
»Ourida.«
Wortlos fuhr Ourida fort, meine Stirn abzutupfen.
Offenbar war ich im Schlaf so laut gewesen, daß ich sie geweckt und hergelockt hatte. Es war mir nicht im mindesten peinlich, von ihr umsorgt zu werden. Im Gegenteil, ich ließ mich aufs Kissen zurücksinken und genoß die sanften Berührungen und die Kühle des feuchten Tuches. Irgendwann legte Ourida ihre flache Hand auf meine Stirn, und ich fühlte mich geborgen bei ihr, wie man es nur bei einem sehr vertrauten Menschen tut. Ich dachte an meine Mutter, deren Bild schon fast aus meinen Erinnerungen verschwunden war. Dabei durchströmte mich jenes seltene Gefühl vollkommenen Glücks, wie wir es sonst nur als Kinder empfinden, in jenem frühen Stadium unseres Lebens, in dem uns die Welt noch ausnahmslos verheißungsvoll erscheint, weil wir den Erwachsenen und ihrer Fähigkeit, uns vor allem Leid zu bewahren, ganz und gar vertrauen.
Beinahe schmerzhaft drang die Helligkeit in meine schlafverklebten Augen, als ich blinzelnd in Richtung Gartentür blickte. Ja, es war bereits Tag, und die Stra-
ßen Kairos waren sicher schon zum Leben erwacht. Ich mußte sehr fest – und traumlos – geschlafen haben, nachdem Ourida mich beruhigt hatte.
War sie bei mir geblieben, bis ich in den Schlaf gefunden hatte? Das letzte, woran ich mich erinnerte, waren ihre zarte Hand auf meiner Stirn und das behag-liche Gefühl, das mich dabei durchströmte.
Ich sah mich in meinem Zimmer um und mußte mit leiser Enttäuschung feststellen, daß ich allein war. Andererseits hatte ich kaum erwarten können, daß Ourida die ganze Nacht über bei mir blieb. Aber – war sie überhaupt hiergewesen?
Je länger ich darüber nachdachte, desto unwirklicher erschien mir ihr nächtlicher Besuch. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, weshalb Ourida das hätte tun sollen. Ich war ein Fremder für sie. Zwar hatten wir ihr das Leben gerettet, aber ich wurde den Eindruck nicht los, daß sie sich in diesem Haus wie eine Gefangene fühlte. Je klarer mein frisch erwachter Verstand wurde, desto mehr verfestigte sich in mir die Gewißheit, daß ihre Anwesenheit nicht mehr
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