Das Wahre Kreuz
verwandelt, über der bereits die hung-rigen Wüstengeier kreisten. Während ich, an der Seite des Generals, auf die nordöstliche Felswand zuhielt, war mir, als spürte ich die anklagenden Blicke der Abnaa Al Salieb im Rücken.
30. KAPITEL
Das Tal des Todes
uf unserem Ritt durch das Tal offenbarte sich mir A das ganze Ausmaß der Zerstörung. Was die Artillerie verschont hatte, fiel jetzt den hemmungslos plün-dernden Truppen zum Opfer. Die Soldaten unserer jungen Republik, von den Zeitungen zu Hause für ihren tapferen Kampf gegen die Feinde des Volkes und der Republik mit Lobeshymnen überhäuft, benahmen sich wie Strauchdiebe und zankten sich um alles, was ihnen auch nur irgendwie wertvoll erschien. Wohin ich auch blickte, überall sah ich dasselbe entwürdigende Schauspiel.
Als ich das beklagte, erwiderte General Lannes: »So wie hier ist es zu allen Zeiten und an allen Orten gewesen. Es ist das Gesetz des Krieges. Ein Soldat nimmt große Anstrengungen in Kauf, marschiert sich die Füße wund, hungert und dürstet und wagt in der Schlacht sein Leben fürs Vaterland. Das alles tut er, ohne zu murren, aus Pflichtgefühl und auch aus Stolz. Wenn die Schlacht aber geschlagen ist, wenn Gefahr und Anspannung vorüber sind, giert er nach einer Belohnung, die ihm das Gefühl gibt, sein Leben nicht umsonst aufs Spiel gesetzt zu haben.«
»Sagten Sie nicht, er zieht aus Pflichtgefühl und Stolz in die Schlacht?«
»Das eine schließt das andere nicht aus. Eine Ehrung erfährt der Soldat in der Regel erst, wenn er heimgekehrt ist. Auf dem Schlachtfeld dagegen erwartet ihn die Belohnung sofort. Vergessen Sie nicht, daß die meisten Soldaten arme Schlucker sind, die sich zu Hause nur selten ein Stück Fleisch leisten können. Außerdem ist es nur gerecht, daß die Sieger die Beute unter sich aufteilen. Tun sie es nicht, fällt alles an die Leichenf-ledderer aus den umliegenden Städten und Dörfern, die nur darauf warten, daß der letzte Schuß verhallt.«
»Hier wohl kaum«, sagte ich. »Oder gibt es außerhalb des Tals Siedlungen?«
»Nein, da haben Sie recht. Das Tal liegt so abge-schieden, daß es auf keiner unserer Karten verzeichnet ist.«
»Und doch haben Sie es gefunden«, sagte ich freud-los.
»Sie hatten Glück im Unglück, Bürger Topart. Nur, weil wir in der Wüste ein Manöver für eine neue Spezi-aleinheit abgehalten haben, sind wir auf den Ort gesto-
ßen, an dem dieses räuberische Beduinengesindel Sie und die Husaren überfallen hat. General Bonaparte will nämlich für den Wüstenkrieg ein Korps aus Kamelrei-tern aufstellen. Aber das wird wohl noch eine Weile dauern. Unsere Soldaten fühlen sich im Schlachtge-tümmel wohler als auf dem Rücken eines schwanken-den Wüstenschiffes.«
Ich zügelte mein Pferd. »Sie irren, Bürger General!
Nicht die Beduinen haben uns überfallen, sondern die Ritter!«
Ich biß mir auf die Zunge, hätte ich doch fast »Ritter vom Verlorenen Kreuz« gesagt, was ich dann hätte erklären müssen.
»Wer?«
»Jene mittelalterlichen Ritter, denen wir bereits im Wüstentempel begegnet sind. Die Beduinen sind uns zu Hilfe gekommen und haben die Ritter besiegt. Wären sie nicht gewesen, hätte wohl auch ich mein Leben verloren.«
»Das ist seltsam. Wir haben nur die Leichen Ihrer Begleiter und die Kadaver der Husarenpferde gefunden, keine toten Beduinen und keine Ritter. Aber es gab Spuren, denen wir bis zu diesem Tal gefolgt sind.«
»Dann müssen andere Ritter gekommen sein, um die Toten zu bergen.«
Während ich das sagte, fragte ich mich, warum die Ritter nicht das Tal der Abnaa Al Salieb angegriffen hatten. Vielleicht waren die französischen Truppen ihnen schlichtweg zuvorgekommen.
Ich machte mir bittere Vorwürfe, weil die Lage der Oase durch meine Rettung bekannt geworden war.
Ohne es zu wollen, hatte ich letztlich zum Untergang des ganzen Stammes beigetragen.
Wiederholte sich das Unheil nach sechshundert Jahren? Damals hatten Gilbert d’Alamar und seine Gefährten ein Beduinenlager ausgelöscht. Bei ihnen war Roland de Giraud gewesen. So wie er damals über Ouridas Familie hatte jetzt ich das Unglück über Ouridas Onkel und seinen Stamm gebracht.
Welches unselige Band gab es zwischen mir und dem Tempelritter Roland? Nun, da Jussuf tot war, würde ich es vielleicht nie erfahren.
Wir ritten weiter, und allmählich konnte ich den Verlauf der Schlacht nachvollziehen. An einem der engen Durchlässe lagen etliche Gefallene, vorwiegend Beduinen. Hier waren
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