Das Wahre Kreuz
zu Ihrem Onkel!«
Wir ritten zu dem Durchlaß, durch den die französischen Truppen ins Tal gekommen waren, vorbei an den Leichen der »Halbwilden«, wie Bonaparte die tapferen Wüstenkrieger genannt hatte.
Mein Begleiter sah meine finstere Miene. »Sie sollten nicht ungerecht sein. General Bonaparte hat dieses Wagnis auf sich genommen, um Sie zu retten. Dafür hat er das Leben seiner Soldaten aufs Spiel gesetzt.«
»Ach, wirklich? Ich dachte, es sei eine gute Übung für seine Truppen gewesen! Ich glaube nicht, daß es ihm um mich ging. Die Kanonade hätte mein Leben ebenso leicht auslöschen können wie das der Beduinen.
Daß ich dabei nicht draufgegangen bin, ist pures Glück!«
»Weshalb sollten wir hier sein, wenn nicht Ihretwegen?«
»Um den Tod der Husaren zu rächen. Um an den Beduinen ein Exempel zu statuieren, das andere Stäm-me davon abhält, sich an französischen Truppen zu vergreifen. Um eine mögliche Gefahr für den Weg zwischen Kairo und dem Wüstentempel aus der Welt zu schaffen.«
An dem Aufblitzen in Lannes’ Augen erkannte ich, daß ich ins Schwarze getroffen hatte. Und er gab es sogar zu, indem er sagte: »Aber wir sind auch Ihretwegen hier, Bürger Topart.«
Ein Trupp Dragoner ritt uns entgegen, und zwischen den Soldaten entdeckte ich die große, kräftige Gestalt meines Onkels. Er lächelte freudig, als er mich erkannte. Laut rief er meinen Namen, und sobald wir abgestiegen waren, drückte er mich fest an sich. Es war ein gutes, beruhigendes Gefühl. Zum ersten Mal an diesem unheilvollen Morgen fühlte ich mich sicher, und für einen viel zu kurzen Augenblick fiel die Last des eben Erlebten von mir ab.
»Es geht dir gut, Junge, das ist wundervoll!« Onkel Jean strahlte über das ganze Gesicht, was er selten tat.
»Die Beduinen haben dir also nichts getan?«
»Nicht die Beduinen haben uns überfallen«, erklärte ich zum dritten Mal. »Es waren die Ritter!«
»Die Ritter aus dem Wüstentempel?« fragte mein Onkel erstaunt. »Das ist interessant, fürwahr! Du mußt mir alles ganz genau erzählen, Bastien, jetzt brauchst du erst einmal Schonung. Du wirkst sehr mitgenommen.«
Wir ritten in ein Zeltlager, das die französischen Truppen gerade nahe der Felswand errichteten. Lannes wies Onkel Jean und mir ein Zelt zu, in dem ich mich wusch.
Ein Soldat, der mir vorher schon frische Kleider gebracht hatte, stellte ein großes Frühstückstablett auf den Tisch, doch ich verspürte nicht den geringsten Hunger. Deshalb stärkte nur mein Onkel sich mit Brot und Käse. Ich setzte mich ihm gegenüber auf den zweiten Klappstuhl und starrte mit einem wehmütigen Ge-fühl durch den halboffenen Zelteingang auf das geschäftige Treiben. Am Abend zuvor war dies noch das Tal der Abnaa Al Salieb gewesen, jetzt war es ein französisches Feldlager.
»Wieso läßt Bonaparte hier ein Lager aufschlagen?«
fragte ich. »Seine Soldaten haben ihr blutiges Werk doch vollbracht.«
»Der Marsch hierher war sehr kräftezehrend. General Bonaparte will seiner Truppe einen Tag und eine Nacht Ruhe gönnen, bevor wir nach Kairo zurückmar-schieren. Auch du wirkst, als könntest du etwas Ruhe vertragen, Bastien. Möchtest du dich hinlegen?«
Ich verneinte, denn ich hätte bestimmt keinen Schlaf gefunden. Noch vierundzwanzig Stunden an diesem Ort verbringen zu sollen, aus dem ein Tal des Todes geworden war, stellte eine grausame Aussicht dar. Jede Stunde, jede Minute würde mich an das Morden erinnern, an Jussuf und Rabja. Mein Onkel erkannte, daß ich mich schlecht fühlte, und legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Willst du erzählen, was dir widerfahren ist, Bastien?
Oder ist dazu nicht der rechte Augenblick?«
»Vielleicht tut es mir gut, darüber zu sprechen«, sagte ich und begann meinen Bericht mit dem Chamsin, der uns überrascht hatte, mit dem Überfall der Ritter und dem Eingreifen der Beduinen.
Ich erzählte, wie die Beduinen mich gepflegt hatten, und ich berichtete von der erbitterten Feindschaft zwischen den Beduinen und den Rittern. Aber ich sagte nichts von Roland de Giraud und dem Wahren Kreuz.
Ich wollte Onkel Jean nicht einweihen, ohne vorher mit Ourida gesprochen zu haben. Schließlich war sie die Hameyat Al Salieb, die Hüterin des Kreuzes, und sie war die Frau, die ich liebte. Wenn ich mich auf etwas freute, dann darauf, sie in Kairo wiederzusehen.
»Was ist mit dieser Ourida?« fragte mein Onkel zu meinem Entsetzen just in dem Moment, als alle meine Gedanken um sie kreisten. »Steht
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