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Das wahre Leben

Titel: Das wahre Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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spürte einen Klumpen im Hals und sah sich schon würgen, wie ihr schwarzer Kater Peter, den sie als Kind gehabt hatte, einen abscheulichen Klumpen aus Speichel und Haaren hervorwürgen. Gleich hier am Tisch. Stattdessen stand sie auf und ging aus dem Zimmer.
    Â«Bringst du uns noch eine Flasche von dem Salice Salentino?», rief Max hinter ihr her. «Sie sollte schon offen sein.»
    Doch Erika ging nicht in die Küche. Sie ging aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Sie versuchte, Mona anzurufen, doch Mona nahm nicht ab.
    Sie schaltete ihren Laptop ein und klickte sich durch die Wohnungsangebote. Seit Monaten hatte sie eine Suchanfrage auf einem Immobilienportal laufen. Sie klickte sich durch die Bilder der leerstehenden Wohnungen und Häuser und stellte sich vor, wie es wäre, in ihnen zu leben.
    Allein.
    In den letzten Wochen waren keine neuen Angebote dazugekommen. Es schien Wohnungsmangel zu herrschen. Erika hatte die immer selben Wohnungen im Geist schon mehrmals umdekoriert. Doch heute blinkte eine Nachricht auf ihrem Bildschirm. «DRINGEND!!!» , hieß es dort. «AB SOFORT! Nachmieter gesucht!»
    Sie klickte das Angebot an. Eine billige, kleine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss. Erika erkannte weder den Straßennamen noch die Postleitzahl. War das überhaupt noch in Zürich? Vermutlich eine dieser neuen Siedlungen am Stadtrand, die sie aus dem Zugfenster sah, wenn sie zu ihrer Mutter ins Glarnerland fuhr.
    Auf den Fotos war die Umgebung nicht zu sehen. Die Aufnahmen waren hastig gemacht, die Wohnung nicht einmal aufgeräumt worden. Umzugskisten standen herum, ein riesiger Fernsehsessel aus künstlichem Leder.
    Kein Geschmack, kein Geld, dachte Erika. Wie in ihrem Traum. War das der Schlüssel? War das ihr richtiges Zuhause, das, in dem sie wirklich wohnen sollte?
    Sie füllte ein Antwortformular aus und tippte gerade ihre Handynummer ein, als Max hereinkam.
    Â«Hier bist du! Ich hab mich schon gewundert … Hast du vergessen, dass wir Gäste haben?»
    Â«Nein.» Wie konnte sie.
    Â«Du bist doch nicht etwa beleidigt? Gerda hat nicht ganz unrecht, weißt du.»
    Â«Gerda hat immer nicht ganz unrecht.» Ihre beste Freundin verunsicherte Erika genauso wie ihr Mann.
    Max trat näher. «Was machst du denn da?»
    Sie klappte den Laptop zu, ohne zu wissen, ob sie nun auf «Absenden» gedrückt hatte oder nicht.
    Â«Nichts», sagte sie. Nichts. Niit.
    Â 
5.
    Nachdem die Gäste gegangen waren, räumte Erika die Küche auf. Sie wollte nicht, dass Frau Nadolny morgen früh dachte, Erika sei faul. Und sie brauchte einen Moment, um den Abend zu verarbeiten. Diesen Moment hatte sie immer geliebt. Wenn alle gegangen waren und sie den Abend noch einmal durchdiskutierten. Sie und Max. Das hatten sie seit Jahren nicht mehr getan. Doch ausgerechnet heute, wo er so ungeduldig gewesen war, kam er zu ihr in die Küche. Er stellte ein Tablett mit leeren Gläsern auf die Theke.
    Â«Ist doch ganz gut gelaufen», sagte er und schenkte den Rest aus der letzten Flasche in ein sauberes Glas, trank einen Schluck, schob es dann zu Erika hinüber. Das war Max: Er lebte ganz im Moment. Dass er sich im Verlauf des Abends über sie geärgert hatte, spielte jetzt keine Rolle mehr. Jetzt war jetzt.
    Jetzt brauchte er ihr Ohr.
    Â«Feilchenfeldt hat voll angebissen, hast du das gemerkt? Vor allem das Projekt in Bangladesh interessiert ihn. Ich treff ihn vor unserer Abreise noch mal. Aber erzähl das ja nicht rum, Arnold wäre schwer beleidigt, wenn er das wüsste!»
    Â«Armer Arnold», murmelte Erika. Sie wusste, wie er sich fühlen musste. Neben Gerda, der alles gelang.
    Â«Bedaure ihn nicht», sagte Max. «Er sitzt den ganzen Tag zu Hause, liest, schreibt, recherchiert – so schön möchte ich’s auch mal haben! Alle vier, fünf Jahre erscheint ein Buch, davon kann kein Mensch leben. Aber Gerda sorgt ja für alles. Die Frau krampft sich einen ab, sag ich dir.»
    Â«Gerda liebt ihre Arbeit.»
    Â«Natürlich tut sie das. Trotzdem kann es einem manchmal zu viel werden. Die Verantwortung …» Max seufzte.
    Erika schaltete die Abwaschmaschine ein. Dann trat sie zu Max und lehnte sich an ihn. «Ist es dir zu viel?», flüsterte sie. «Ist dir alles zu viel?»
    Max drehte sich um und hielt sie fest. «Manchmal», sagte er leise. «Manchmal nicht.» Er küsste

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