Das Wahre Spiel 02 - Der Nekromant
bis zu irgendeinem schwindelerregend hohen Endpunkt hinauf.
»Wir brauchen einen Platz, von dem aus wir alles beobachten können«, sagte sie und zog mich hinter sich her. Also stiegen wir hoch und immer höher hinauf, bis wir schließlich die offene Stelle erreichten, die wir unten vom Tunnel aus gesehen hatten. Draußen war die spinnenartige Leiter. Weit unten auf der Wiese begannen sich die Zauberkünstler zu versammeln.
Wie kann ich euch richtig nahebringen, was wir sahen, Mavin und ich? Ich muß, denn das, was wir sahen, hatte so viel mit den Vermutungen des alten Windlow und Himaggerys Zielen zu tun, so viel mit meiner Verwirrung und Mavins Anstrengung. Die Zeremonie zeigte uns, was wir waren und warum, doch ich, nichtsahnend von dem, was auf uns zukam, war nur schläfrig, einsam und ein bißchen ängstlich, daß jederzeit irgend etwas passieren würde. Laßt mich aber nicht darüber berichten, sondern davon, was ihr gesehen hättet, wenn ihr dabei gewesen wärt.
Reihen junger Zauberkünstler standen auf einem grasbewachsenen Hügel, angeführt von einem, der sich vor ihnen aufgebaut hatte. Jeder von ihnen hielt ein Buch in der Hand. Die anderen Zauberkünstler standen in Grüppchen auf der Wiese und unterhielten sich angeregt. Die Sonne stieg hoch und erhellte das Ganze mit einer Art unschuldiger Glorie. Die jungen Zauberkünstler begannen zu singen. Niemals hatte ich eine solche Art Musik zuvor gehört. Sie erhob sich und durchdrang alles. Ich wollte lachen und weinen – gleichzeitig. Einige der Stimmen waren hoch, fast wie von Frauen, andere rollende Bässe, dumpf wie Trommeln. Ich hatte geglaubt, diese Zauberkünstler seien ganz ohne Ehre und Verstand. Nun mußte ich meine Meinung ändern. Was immer ihnen auch sonst fehlen mochte, an Kunst fehlte es ihnen nicht. Vielleicht war es das, was sie am Leben erhielt. Ich schaute von meinem hohen Ausguck und erblickte Manacle am Fuß der Leiter, Tränen liefen über sein Gesicht, ein Gesicht, das von innen her von einer Art freudiger Erregung erleuchtet war.
Nach dem Gesang ertönten Trompetenstöße. Diese kamen aus einer Maschine, die irgendwo stand. Der Klang war armselig gegen das, was wir gerade gehört hatten. Manacle erklomm die Leiter, langsam, ein bißchen keuchend, während er kletterte. Unter ihm nahmen die Zauberkünstler allmählich ihre Plätze ein. Ich zählte sie, während Manacle kletterte, und kam auf ungefähr tausend. Nicht viel, wenn man die Größe dieses Ortes bedachte. Von diesen tausend waren vielleicht fünfzig oder sechzig Kinder, und ein oder zwei sehr kleine Kinder, von ihren Vätern getragen, die ihnen jeden Schritt der Zeremonie erklärten.
Mavin und ich nahmen Formen an, die in dem Raum ringsum verschwanden, waren unsichtbar, als Manacle von der hohen Leiter aus in den Turm trat. Er schloß die Tür hinter sich und wartete auf ein Zeichen von draußen. Es kam in Form eines zweiten Trompetenstoßes und eines scheußlich maschinenhaften Dröhnens, das sich zu unerträglicher Lautstärke steigerte, bis es langsam wieder verklang. Ich hörte Manacle murmeln: »Das Geräusch des landenden Schiffes. Jetzt. Das Schiff ist gelandet.« Er stieß die Tür vor sich auf und trat auf die Leiter.
Stellt euch vor, dieser winzige Mann so hoch oben, ganz in Schwarzgold gekleidet, seine Kameraden unten versammelt und aufwärts blickend, bleiche Gesichter wie Teller, Stille, in jedem Auge Respekt. Hört ihn mit veränderter, dramatischer Stimme ausrufen: »Seht diesen Planeten! Ich, Kaptan Barish, habe Wissenschaftler und Forscher von weither zu einer geheiligten Mission hierhergebracht. Kommt heraus! Kommt heraus!«
Seht dann, wie die Maschinen in den Schiffsturm hineinfassen und die Körper der jungen Zauberkünstler herausholen, die ihre Rolle spielen, alle mit Farbe bemalt, um grau und hart auszusehen. Seht weiter, wie die Maschinen die Blauen aus dem Schiff holen, wie sie klappernd und ratternd über das Gras zu der großen, mit Girlanden geschmückten anderen Maschine fahren, die mit Blumen und flatternden Bändern aus Gold und Silber bedeckt ist, die im sanften Morgenwind flattern. Seht, wie die jungen Zauberkünstler mit den Blauen zusammen auf die Plattform gelegt werden, von wo sie hochspringen, rufen, sich die Farbe von den Gesichtern wischen, während Manacle von hoch oben heruntersteigt, langsam, Stufe für Stufe, in aller Würde, um jeden von ihnen zu begrüßen und ein schwarzes Gewand über ihre saubergewischten Köpfe zu
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