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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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weinend aus ihren Betten gesprungen waren. Es war Sommersonnenwende, und das Morgengrauen würde früh hereinbrechen. Es herrschte bereits graues Licht, als sie zur Höhle kamen und den Hund erblickten.
    Arthur stieg vom Pferd und ging zu Cavall hinüber. Einen Augenblick lang blickte er dem Hund in die Augen, dann stand er da und schaute zur Höhle hinüber. An ihrem Eingang stand Jaelle zwischen den roten Blumen, die mitten im Schnee erblüht waren, und Tränen rannen ihr über das Gesicht.
    Die Sonne ging auf.
    »Wer?« wollte Loren Silbermantel wissen. »Wer war es?«
    Inzwischen waren ungeheuer viele Menschen dort eingetroffen, und sie blickten einander im ersten Morgenlicht an. Kim Ford schloss die Augen.
    Rings um sie her begannen die Priesterinnen der Dana, zunächst abgehackt, mit ihrem Klagegesang für den toten Liadon.
    »Seht doch!« ließ sich Shalhassan von Cathal vernehmen. »Der Schnee schmilzt.«
    Jedermann schaute hin, nur Kim nicht. Jedermann sah es.
    Oh, mein geliebter Mann, dachte Kimberly. Ein Raunen erklang, das sich allmählich zu einem Brüllen steigerte. Ehrfurcht und Ungläubigkeit. Die Anfänge ungeheurer Freude. Die Priesterinnen heulten in ihrer Trauer und Ekstase. Die Sonne schien auf den schmelzenden Schnee.
    »Wo ist Kevin?« fragte Diarmuid barsch.
    Wo, o wo? Oh, mein Geliebter.



 
Kapitel 12
     
    Als ältester von drei Brüdern hatte Paul ein recht gutes Gespür dafür, wie man mit Kindern umging. Doch ein gutes Gespür reichte hier nicht aus, nicht bei diesem Kind. Dari war an jenem Morgen ihm überlassen, denn Vae hatte mit ihrem eigenen Kummer genug zu tun; den Verlust eines Kindes zu betrauern und einen beinahe unmöglichen Brief zur Nordfeste zu schreiben.
    Er hatte versprochen, dafür zu sorgen, dass er dort auch ankommen würde, und hatte dann Dari zum Spielen mit nach draußen genommen. Oder vielmehr, um nur mit ihm durch den Schnee zu marschieren, denn der Junge – Paul schätzte, dass er jetzt wie ein Sieben- oder Achtjähriger aussah – war nicht in der Stimmung zu spielen, und obendrein hatte er kein rechtes Vertrauen zu Paul.
    Indem er auf die Erinnerung an seine Brüder vor fünfzehn Jahren zurückgriff, redete Paul Schaf er einfach drauflos. Er drängte Dari nicht, etwas zu sagen oder etwas zu tun, erbot sich nicht, mit ihm zu raufen oder ihn zu tragen; er sprach nur zu ihm, und nicht wie jemand, der zu einem Kind spricht.
    Er erzählte Dari von seiner eigenen Welt, von Loren Silbermantel, dem Magier, der zwischen den Welten hin und her reisen konnte. Er sprach über den Krieg, darüber, warum Shahar, Daris Vater, fort sein musste, und darüber, wie viele Mütter und Kinder ihre Männer hatten in den Krieg ziehen lassen müssen, alles wegen der Finsternis.
    »Aber Finn war doch gar kein Mann«, warf Dari ein.
    Sie befanden sich auf einem Pfad, der sich durch den Wald schlängelte. Weiter links konnte Paul hin und wieder einen Blick auf den See erhaschen. Auf den einzigen See in Fionavar, nahm er an, der nicht zugefroren war. Er blickte auf das Kind hinab, erwog seine nächsten Worte.
    »Manche Jungen«, sagte er, »werden früher als andere zu Männern. Finn hat zu denen gehört.«
    Dari, angetan mit einem blauen Mantel, Schal, Handschuhen und Stiefeln, sah ernsthaft zu ihm auf. Seine Augen waren strahlend blau. Dann schien er eine Entscheidung zu fällen. Er behauptete: »Ich kann eine Blume in den Schnee zeichnen.«
    »Ich weiß«, bestätigte Paul lächelnd. »Mit einem Stock. Deine Mutter hat mir erzählt, dass du gestern eine gemacht hast.«
    »Ich brauche dazu keinen Stock«, erklärte Darien, wandte sich ab und machte eine Handbewegung hin zu dem unzertrampelten Schnee vor ihnen auf dem Pfad. Die Geste seiner Hand in der Luft wiederholte sich auf dem Schnee, und Paul erblickte die Umrisse einer Blume.
    Und noch etwas sah er.
    »Das ist … . ja sehr gut«, lobte er ihn, so ruhig er konnte, während in seinem Kopf die Alarmsirenen losheulten. Darien drehte sich nicht um. Mit einer weiteren Bewegung, keinem Nachzeichnen von Umrissen diesmal, sondern einem Spreizen seiner Finger, machte er die Blume, die er geschaffen hatte, farbig.
    Sie war blaugrün, dort, wo die Blütenblätter waren, und rot in der Mitte. So rot wie Dariens Augen, während er sie schuf.
    »Das ist sehr gut«, wiederholte Paul. Er räusperte sich. »Sollen wir zum Mittagessen heimgehen?«
    Sie waren eine weite Strecke gelaufen, und auf dem Rückweg wurde Dari müde und bat darum, getragen

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