Das wandernde Feuer
und dann ein bedeutsames Schweigen.
»Was begehrst du also?« fragte Cernan.
Paul antwortete, wieder mit seiner eigenen Stimme: »Du weißt, wer das Kind ist?«
»Ich weiß, dass es ein Andain ist«, erklärte Cernan vom Walde. »Es gehört meinem Sohn.«
»Dein Sohn«, drohte Paul barsch, »gehört mir. Wenn wir einander das nächste, das dritte Mal begegnen.«
Wieder Schweigen. Der gehörnte Gott trat einen Schritt vor. »Er ist sehr stark«, warnte er. »Stärker als wir, deshalb dürfen wir uns nicht einmischen.« Er verstummte. Und dann fügt er hinzu, mit einem ganz anderen Unterton in der Stimme: »Er war nicht immer so, wie er jetzt ist.«
Soviel Schmerz, dachte Paul. Selbst hier. Dann ließ sich, bitter und unversöhnlich, die Stimme Brendels vernehmen: »Er hat Ra-Termaine in Andarien hingemordet. Willst du verlangen, dass wir Mitleid mit ihm empfinden?«
»Er ist mein Sohn«, war alles, was Cernan darauf erwiderte.
Paul bewegte sich unruhig. So viel Dunkelheit um ihn herum und keine Rabenstimmen, die ihm den Weg wiesen. Er sagte, immer noch zweifelnd, immer noch ängstlich: »Wir brauchen dich, Fürst des Waldes. Deinen Rat und deine Macht. Das Kind hat seine Kraft entfaltet, und sie ist rot. Wir alle haben unsere Entscheidung für oder gegen das Licht zu treffen, doch für ihn ist diese Wahl die allerschwerste, fürchte ich, und er ist noch ein Kind.«
Nachdem er eine Pause hatte einfließen lassen, sprach er die entscheidenden Worte: »Er ist Rakoths Kind, Cernan.«
Dem folgte ein Schweigen. »Warum«, flüsterte der Gott bestürzt. »Warum wurde ihm gestattet zu leben?«
Paul wurde auf ein Raunen zwischen den Bäumen aufmerksam. Er erinnerte sich daran. Er erwiderte: »Damit er die Wahl treffen kann. Wenn auch nicht, solange er ein Kind ist, und seine Macht ist zu früh zutage getreten.« Er hörte den Atem Brendels neben sich.
»Nur als Kind«, erklärte Cernan, »kann man ihn noch beeinflussen.«
Paul schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Möglichkeit, ihn zu beherrschen, es kann so eine Möglichkeit niemals geben. Fürst des Waldes, er ist eines der Schlachtfelder, und er muss alt genug sein, um das zu wissen!« Als er die Worte aussprach, fühlte er, dass sie wahr klangen. Kein Donner war zu hören, aber in seinem Innern spürte er ein seltsames, erwartungsvolles Pulsieren. Er stellte die Frage: »Cernan, kannst du ihn zur Mannesreife bringen?«
Cernan vom Walde hob seinen mächtigen Kopf, und zum ersten Mal fühlte Paul sich entmutigt. Der Gott öffnete den Mund, um zu sprechen –
Sie bekamen nie zu hören, was er zu sagen vorgehabt hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung flammte ein Lichtblitz auf, beinahe blendend hell in der schweren Düsternis jenes Ortes.
»Heiliger Weber am Webstuhl!« rief Brendel. »Nicht ganz so«, sagte Darien.
Er kam hinter dem Sommerbaum hervor, und er war kein Kind mehr. Nackt wie Cernan stand er vor ihnen, so hellhäutig, wie er es seit seiner Geburt gewesen war, und nicht so hochgewachsen wie der Gott. Er war etwa so groß, bemerkte Paul, erfüllt von bösen, betäubenden Vorahnungen, wie Finn gewesen war, und er machte obendrein den Eindruck, als wäre er ebenso alt.
»Dari … .«, begann er, aber der Name passte nicht mehr zu dem Jungen, er war nicht anwendbar auf seine goldene Gegenwart hier auf der Lichtung. Er machte einen zweiten Anlauf. »Darien, deswegen habe ich dich hierher gebracht, aber wie hast du es ganz allein zustande gebracht?«
Ihm scholl ein Lachen entgegen, das seine Befürchtungen in Entsetzen verwandelte. »Du hast etwas vergessen«, hielt ihm Darien vor. »Ihr alle habt es vergessen. So eine einfache Sache wie der Winter hat euch dazu gebracht, es zu vergessen – wir befinden uns in einem Eichenhain, und die Mittsommernacht ist nahe! Wenn mir soviel Macht zur Verfügung steht, die ich anwenden kann, warum sollte ich da einen gehörnten Gott brauchen, um meine Macht zu entfalten?«
»Nicht deine Macht«, erwiderte Paul, so ruhig er konnte, und er beobachtete dabei Dariens Augen, die nach wie vor blau waren. »Deine Mannesreife. Du bist jetzt alt genug, um zu wissen warum. Du hast eine Wahl zu treffen.«
»Soll ich gehen «, rief Darien, »und meinen Vater fragen, was ich tun soll?« Und mit einer Handbewegung ließ er die Bäume am Rand der Lichtung zu einem Ring aus Feuer aufflammen, so rot wie das rote Blitzen seiner Augen.
Paul taumelte zurück, als er den Ansturm der Hitze spürte, wie er die Kälte
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