Das wandernde Feuer
aufzunehmen, ihm zu begegnen. Doch sie hielt ihn umschlungen, sie leuchtete von innen heraus um dessentwillen, was er mit ihr gemacht hatte, er war heimgekehrt, ans Ende aller Wanderungen. Nun raste der Erdboden ihm entgegen, die Wände sausten vorbei, kein Bedauern, viel Liebe, Macht, eine gewisse Hoffnung, ermattetes Verlangen, und nur der eine Kummer, der ihm im letzten Bruchteil einer Sekunde Trauer bereiten konnte, als die Erde nun endgültig herankam, ihm entgegen.
Abba , dachte er, ganz und gar unpassend. Und schlug auf.
Im Tempel erwachte Jaelle. Sie hatte ein Geräusch gehört. Sie saß kerzengerade in ihrem Bett und wartete. Einen Augenblick später kam es wieder, und diesmal war sie wach, und es konnte sich nicht um einen Irrtum handeln. Nicht hierbei, und nicht heute Nacht. Sie war Hohepriesterin, sie trug Weiß und war unberührt, denn es musste eine geben, die so auf die Mutter eingestimmt war, dass der Schrei, wenn er laut wurde, nicht ungehört verhallte. Wieder erreichte er sie, der Laut, den sie nie zu vernehmen angenommen hatte, ein Schrei, der länger nicht mehr erklungen war, als irgendein Lebender wusste. Oh, das Ritual war ausgeführt worden, jeden Morgen nach dem Maidaladan, seit der erste Tempel in Gwen Ystrat errichtet worden war. Doch das Klagen der Priesterinnen bei Sonnenaufgang war eine Sache, es war ein Symbol, ein Akt des Gedenkens.
Die Stimme in ihrem Kopf aber war unendlich anders, und ihr Klagen hatte nichts mit einem symbolischen Verlust zu tun, sondern es ging dabei um den Geliebten Sohn. Jaelle stand auf, war sich dabei ihres Zitterns bewusst und glaubte immer noch nicht recht, was sie da hörte, doch der Laut war schrill und unwiderstehlich, übervoll mit zeitlosem Jammer, und sie war Hohepriesterin und begriff, was geschehen war.
Im Vorraum ihrer Gemächer befanden sich drei schlafende Männer. Keiner von ihnen rührte sich, als sie vorbeikam. Sie ging nicht hinaus auf den Gang. Stattdessen trat sie an eine andere, kleinere Tür und schritt barfuss in der Kälte rasch durch einen dunklen, engen Flur und öffnete an seinem Ende eine weitere Tür.
Sie kam unter der Kuppel hervor, hinter dem Altar und der Axt. Sie verharrte. Die Stimme war laut in ihrem Innern, eindringlich und frohlockend selbst in ihrer Trauer, und sie wurde von ihr mitgerissen.
Sie war Hohepriesterin. Dies war Maidaladan, und obwohl es unmöglich erschien, war es geschehen. Sie legte beide Hände auf die Axt, hob sie aus ihrer Verankerung und ließ sie mit einem mächtigen Krachen auf den Altar niedersausen. Ungeheuerlich war der Widerhall. Erst als es vorbei war, hob sie ihre Stimme und sprach jene Worte, die sie im Innern ihrer Seele hörte.
»Rahod hedai Liadon! « rief Jaelle. »Liadon ist ein zweites Mal gestorben!« Sie schluchzte, sie trauerte um ihn mit ihrem ganzen Herzen. Und sie wusste, dass jede Priesterin in Fionavar sie gehört hatte. Sie war Hohepriesterin.
Sie erwachten nun, all jene, die sich im Tempel aufhielten. Sie schreckten auf aus ihrem Schlaf. Sie erblickten sie dort, mit zerrissener Robe, mit Blut auf dem Gesicht, die Axt, die aus ihrer Verankerung gehoben war.
»Rahod hedai Liadon!« rief Jaelle wieder, als sie die Worte in sich aufsteigen und nach Ausdruck verlangen fühlte. Die Mormae waren nun alle versammelt, sie sah, dass sie anfingen, ihre Gewänder zu zerreißen, sich im Ungestüm ihrer Trauer die Gesichter zu zerkratzen, und sie hörte, dass sie ebenfalls die Stimmen klagend erhoben, wie sie es getan hatte.
Neben ihr stand eine schluchzende Tempeldienerin. Sie trug Jaelles Umhang und ihre Stiefel. In aller Eile zog sie sich an. Sie setzte sich in Bewegung, um sie wegzuführen, alle zusammen gen Osten, dorthin, wo es geschehen war. Es waren auch Männer im Raum, die beiden Magier, die Könige; Furcht stand in ihren Augen. Sie traten beiseite, um sie vorbeizulassen. Dort aber war eine Frau, die nicht beiseite trat.
»Jaelle«, fragte Kim. »Wer ist es?«
Sie ließ sich kaum aufhalten. »Ich weiß es nicht. Komm mit!« Sie wandte sich nach draußen. Überall in Morvran wurden Lichter angezündet, und die lange Straße entlang, die von der Stadt zum Tempel führte, sah sie die Priesterinnen auf sich zueilen. Ihr Pferd war herbeigeholt worden. Sie stieg auf und machte sich, ohne auf jemanden zu warten, auf nach Dun Maura.
Sie folgten ihr alle. In zahlreichen Fällen saßen sie zu zweit auf den Pferden, da die Soldaten die Priesterinnen mitbrachten, welche
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