Das wandernde Feuer
zuvor nicht empfunden hatte.
Er hörte Cernan aufschreien, doch ehe der Gott handeln konnte, trat Brendel vor.
»Nein«, gebot er. »Bringe das Feuer zum Erlöschen und höre mir noch einmal zu, bevor du gehst.« In seiner Stimme war Musik, Glocken an einem erhabenen, lichten Ort. »Nur einmal«, bat Brendel wieder, und Darien hob die Hand.
Das Feuer erlosch. Die Bäume waren unversehrt. Illusion, erkannte Paul. Es hatte sich um eine Illusion gehandelt. Er spürte nach wie vor die schwächer werdende Hitze auf seiner Haut, und selbst hier, am Ausgangspunkt seiner Macht, fühlte er sich hilflos.
Zart, beinahe schon durchsichtig, wandte Brendel sich dem Kinde Rakoths zu. »Du hast gehört, wie wir deinen Vater beim Namen nannten«, sagte er, »aber du kennst den Namen deiner Mutter nicht, und du hast ihr Haar und ihre Hände. Mehr als das: Die Augen deines Vaters sind rot, die deiner Mutter grün. Deine Augen sind blau, Darien. Du bist an kein bestimmtes Schicksal gebunden. Keiner, der je geboren wurde, hatte wie du die reine Wahl zwischen Licht und Finsternis.«
»So ist es«, tönte Cernans tiefe Stimme zwischen den Bäumen hervor.
Paul konnte Brendels Augen nicht sehen, doch die von Darien waren wieder blau, und er war so wunderschön. Kein Kind mehr, aber immer noch jung, mit einem bartlosen, offenen Gesicht, und erfüllt von so großer Macht.
»Wenn meine Wahl so lauter ist«, warf Darien ein, »sollte ich dann nicht meinen Vater ebenso anhören wie dich? Und sei es nur um der Gerechtigkeit willen.« Wieder lachte er, diesmal über etwas, das er Brendel vom Gesicht ablas.
»Darien«, richtete Paul ruhig das Wort an ihn, »du bist geliebt worden. Was hat Finn dir über die Wahl gesagt?«
Das war ein riskantes Spiel, noch eines, denn er wusste nicht, ob Finn überhaupt etwas dazu erwähnt hatte.
Ein riskantes Spiel, und er schien es verloren zu haben. »Er hat mich verlassen«, erklärte Darien, und Schmerz verzerrte sein Gesicht. »Er hat mich verlassen!« rief der junge noch einmal. Er hob die Hand – eine Hand wie die von Jennifer – und verschwand.
Stille breitete sich aus, dann hörte man, wie etwas sich eilig von der Lichtung entfernte.
»Warum« wiederholte Cernan vom Walde – der Gott, der Maugrim vor langer Zeit verspottet und ihn Sathain genannt hatte – seine Frage, »warum wurde ihm gestattet zu leben?«
Paul sah zuerst ihn an, dann den plötzlich zerbrechlich wirkenden Lios Alfar. Er ballte die Fäuste. »Um zu wählen!« schrie er mit wachsender Verzweiflung. Er suchte in sich nach der Quelle der Macht, nach Trost, den er nicht fand.
Zusammen verließen Paul und Brendel den Wald. Der Weg dorthin war lang gewesen; der Weg zurück erschien noch länger. Die Sonne stand schon hinter ihnen im Westen, als sie zur Hütte zurückkehrten. Drei waren am Morgen ausgezogen, doch Vae sah nur zwei, die wiederkehrten.
Sie ließ sie ein, und der Lios Alfar verbeugte sich vor ihr und küsste ihr dann die Stirn, worauf sie nicht gefasst war. Sie hatte noch nie einen gesehen. Früher hätte sie die Begegnung in Verzückung versetzt. Früher. Sie ließen sich zögernd in den beiden Stühlen vor dem Feuer nieder, und sie brühte Kräutertee auf, während sie ihr berichteten, was vorgefallen war.
»Es war also umsonst«, stellte sie fest, nachdem die beiden geendet hatten. »Es war weniger als umsonst, alles, was wir getan haben, wenn er sich tatsächlich seinem Vater angeschlossen hat. Ich hatte gehofft, Liebe könnte mehr ausrichten.«
Keiner von beiden antwortete ihr, und das war Antwort genug. Paul warf einen Holzscheit ins Feuer. Die Ereignisse des Tages hatten etwas in ihm zerschlagen. »Es gibt keinen Grund mehr hier zu bleiben«, sagte er schließlich. »Sollen wir dich am Morgen in die Stadt mitnehmen?«
Langsam nickte sie. Und dann, als die drohende Einsamkeit sie endgültig übermannte, sagte sie mit zitternder Stimme: »Das Haus wird verlassen sein. Kann Shahar nicht heimkehren und in Paras Derval dienen?«
»Natürlich kann er das«, entgegnete Paul ruhig. »O Vae, es tut mir so leid. Ich werde feststellen, ob er nicht heimkehren darf.«
Dann weinte sie eine Weile. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, zu weinen. Aber Finn war so unglaublich weit weggegangen und jetzt auch noch Dari, und Shahar war schon so lange fort.
Sie blieben die Nacht über da. Beim Licht der Kerzen und des Feuers halfen sie ihr, die wenigen Habseligkeiten zusammenzusuchen, die sie in die Hütte mitgebracht
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