Das wandernde Feuer
hatte. Als es spät geworden war, ließen sie das Feuer ausgehen, und der Lios schlief in Daris Bett und Paul noch einmal in dem von Finn. Sie wollten im ersten Morgenlicht aufbrechen.
Doch sie erwachten, ehe es soweit war. Es war Brendel, der sich als erster regte, und die anderen beiden, die nicht sonderlich tief schliefen, hörten ihn aufstehen. Es war noch mitten in der Nacht, etwa zwei Stunden vor Morgengrauen.
»Was ist?« fragte Paul.
»Ich bin mir dessen nicht sicher«, erwiderte der Lios. »Irgend etwas.«
Sie kleideten sich alle drei an und gingen hinaus zum See. Der Vollmond stand tief, schien jedoch sehr hell. Der Wind kam jetzt von Süden und blies ihnen vom Wasser her entgegen. Die Sterne über ihnen und im Westen waren des Mondes wegen gedämpft. Paul sah, dass sie im Osten heller leuchteten.
Dann, immer noch gen Osten gewandt, senkte er den Blick. Sprachlos vor Staunen berührte er Brendel und Vae, und wies dann auf das, was er entdeckt hatte.
Auf sämtlichen Hügeln, deutlich sichtbar im Licht des Mondes, hatte der Schnee zu schmelzen begonnen.
Er hatte sich nicht weit entfernt, war auch nicht lange unsichtbar geblieben – das gehörte nicht zu den Dingen, die er lange aufrechterhalten konnte. Er hörte den Gott in der Gestalt eines Rehs sich entfernen, und dann die beiden anderen langsam und schweigend dahinschreiten. Er kam in Versuchung, ihnen nachzulaufen, aber er verweilte dort, wo er sich zwischen den Bäumen verborgen hatte. Später, als alle verschwunden waren, stand er auf und ging ebenfalls.
Da lag etwas wie eine geballte Faust oder wie ein Stein in seiner Brust vergraben. Es tat weh. Er war diesen Körper nicht gewöhnt, in den er so schnell hineingewachsen war. Außerdem war es ungewohnt für ihn, zu wissen, wer sein Vater war. Er wusste, das erste Unbehagen würde sich legen, nahm an, dass auch das zweite vorübergehen würde. Er war sich nicht sicher, was er davon zu halten hatte, und von allem anderen. Er war nackt, aber ihm war nicht kalt. Er war auf jedermann zutiefst wütend. Er begann eine Vorstellung davon zu bekommen, wie stark er war.
Es gab da eine Stelle – Finn hatte sie entdeckt – nördlich der Hütte und hoch droben auf dem höchsten Hügel. Im Sommer wäre der Aufstieg leicht gewesen, hatte Finn behauptet. Darien hatte nie einen Sommer erlebt. Als Finn ihn dorthin mitnahm, hatten die Schneeverwehungen Dari bis an die Brust gereicht, und Finn musste ihn einen Großteil des Weges tragen.
Er war nicht mehr Dari. Dieser Name war noch etwas, das er verloren hatte, noch ein Teil von ihm, der für immer dahin war. Er stand vor einer kleinen Höhle am Abhang. Sie schützte ihn vor dem Wind, obwohl er gar keinen Schutz nötig hatte. Von hier aus konnte er die Türme des Palastes in Paras Derval sehen, wenn schon nicht die Stadt selbst.
Außerdem vermochte man, als es nach und nach dunkel wurde, auf die Lichter in der Hütte am See hinabzuschauen. Seine Augen waren sehr gut. Er konnte die Gestalten sehen, die sich hinter den Vorhängen bewegten. Er beobachtete sie. Nach einer Weile wurde ihm doch noch kalt. Alles war sehr schnell abgelaufen. Er konnte sich immer noch nicht recht in diesen Körper hineinfinden oder gar mit dem älteren Bewusstsein fertig werden, über das er nun verfügte. Zur Hälfte war er immer noch Dari mit dem blauen Wintermantel und den Fäustlingen. Er wäre immer noch gern dort hinunter getragen und ins Bett gebracht worden.
Es fiel ihm schwer, nicht zu weinen, als er die Lichter erblickte, und noch schwerer, als die Lichter ausgingen. Als das geschah, war er allein mit dem Mondlicht und dem Schnee und den Stimmen, die wieder mit dem Wind zu ihm drangen. Aber er weinte nicht und wandte sich stattdessen zurück, seinem Zorn zu. Warum wurde ihm gestattet zu leben? hatte der Fürst des Waldes gefragt. Niemand wollte ihn haben, nicht einmal Finn, der ihn verlassen hatte.
Es war kalt, und er hatte Hunger. Bei diesem Gedanken ließ er das Rot in sich aufblitzen und verwandelte sich in eine Eule. Er flog eine Stunde lang umher und erbeutete drei nächtliche Nagetiere in der Nähe des Waldes. Er kehrte zur Höhle zurück. Als Vogel war ihm wärmer, und er schlief in dieser Gestalt ein.
Als der Wind die Richtung änderte, erwachte er, denn mit dem Aufkommen des Südwindes hatten die Stimmen aufgehört. Sie waren deutlich und verlockend gewesen, doch nun waren diese Stimmen verstummt.
Während er schlief, hatte er sich wieder in Darien
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