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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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hinter ihr zurückgeblieben, um sich wieder Diarmuids Männern anzuschließen.
    Bestimmt war es nichts Bedeutsames gewesen – eine Freundlichkeit, eine liebevolle Stichelei – , aber jetzt war er nicht mehr da, und sie hatte die letzten Worte nicht gehört, die er an sie gerichtet hatte.
    Sie erwachte halb aus ihren schweren Träumen. Sie befand sich im Haus des Königs in Morvran. Sie hätte es nicht fertig gebracht, eine weitere Nacht im Heiligtum zu verbringen. Nachdem Jaelle fort war, nachdem die Truppen nach Paras Derval zurückgekehrt waren, gehörte der Tempel wieder Audiart, und der Triumph in den Augen dieser Frau war mehr, als Kim ertragen konnte.
    Natürlich hatten sie etwas gewonnen. Überall schmolz der Schnee – am Morgen würde er verschwunden sein, und sie würde sich ebenfalls auf den Weg machen, wenn auch nicht nach Paras Derval. Es hatte einen Sieg gegeben, eine Offenbarung der Fähigkeit Danas, die Machenschaften der Finsternis zu durchkreuzen. Doch diese Entfaltung ihrer Macht war bezahlt worden, erkauft mit Blut und noch mehr. Überall wuchsen rote Blumen. Sie gehörten Kevin, und er war dahingegangen.
    Ihr Fenster stand offen, und die nächtliche Brise war frisch und mild, sie kündigte den Frühling an. Einen Frühling, wie es ihn noch nie gegeben hatte, der beinahe über Nacht hervorsproß. Aber nicht als Geschenk. Er war erkauft und bezahlt worden, jede Blume, jeder Grashalm.
    Aus dem Zimmer nebenan hörte sie Gereints Atem. Er war langsam und gleichmäßig, nicht röchelnd wie zuvor. Am Morgen würde es ihm wieder gut gehen, und das hieß, dass Ivor sich ebenfalls auf den Heimweg machen konnte. Der Aven konnte es sich eigentlich nicht leisten, weiterhin zu verweilen, denn mit dem Ende des Winters war die Ebene wieder gen Norden hin ungeschützt und offen.
    War denn alles, was die Göttin tat, zweischneidig? Sie kannte die Antwort darauf. Wusste auch, dass in diesem besonderen Fall ihre Frage ungerecht war, denn sie hatten diesen Frühling so dringend gebraucht. Aber ihr war nicht danach, gerecht zu sein. Noch nicht. Sie drehte sich um im Bett und schlief ein, um wieder zu träumen. Nicht von Kevin diesmal, obwohl seine Blumen da waren.
    Sie war die Seherin von Brennin, die Träumerin des Traums. Zum zweiten Mal in zwei Nächten hatte sie die Vision der Seherin, die sie weit fortschickte von jedermann, den sie kannte. Sie war ihr bereits in der vergangenen Nacht gekommen, in Lorens Bett, nach einem Liebesakt, an den sie sich beide immer mit Dankbarkeit zurückerinnern würden. Sie hatte sich gerade mitten in dem Traum befunden, als Jaelles Stimme, die den Tod Liadons beklagte, sie geweckt hatte.
    Nun kam sie wieder, wand sich, wie es solcherlei bildliche Vorstellungen immer taten, die Zeitschlaufen des Gewirks entlang. Sie gewahrte Rauch von brennenden Feuern und dahinter undeutliche Gestalten. Sie erblickte Höhlen, aber nicht solche wie Dun Maura: Sie waren tief und weit und lagen hoch droben in den Bergen. Dann verschwamm das Bild, die Zeit schlüpfte durch das Gitterwerk ihrer Vision. Sie sah sich selber –  das war zu einem späteren Zeitpunkt – , und ihr Gesicht und ihre Arme waren von frischen Fleischwunden gezeichnet. Doch nicht mit Blut, aus irgendeinem Grunde nicht mit Blut. Ein Feuer. Gesang rings umher. Und dann flammte der Baelrath auf, und wie in dem Traum von Stonehenge wurde sie beinahe zerschmettert von dem Schmerz, den er ihr, wie sie wusste, zufügen würde. Doch diesmal war es noch schlimmer. Widernatürlich und unverzeihlich. So ungeheuer war dieses Aufflammen, so enorm war seine Auswirkung, dass selbst nach allem, was geschehen war, ihr Bewusstsein dort im Traum abermals die peinigende Frage hinausschrie, von der sie geglaubt hatte, sie gehöre längst der Vergangenheit an: Wer war sie, dass sie so etwas tun sollte?
    Worauf es keine Antwort gab. Nur Sonnenlicht, das zum Fenster hereinströmte, und unzählige Vögel, die im Licht des wieder geborenen Frühlings sangen.
    Sie stand auf, wenn auch nicht sogleich. Das Weh in ihrem Herzen stand in scharfem Gegensatz zu dieser blühenden Morgendämmerung, und sie musste warten, bis es ein wenig nachließ. Ihr Begleiter wartete ebenfalls, nachdem er beide Pferde gesattelt und reisefertig gemacht hatte. Zunächst hatte sie vorgehabt, sich allein auf den Weg zu machen, doch die Magier und Jaelle – dies eine Mal einen Sinnes – hatten sich mit Aileron zusammengetan und ihr das verboten. Sie hatten ihr eine Schar Männer

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