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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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letzte schlaflose Nacht zuteil wurde, hervorgerufen von Kevin Laine. Sie war noch wach, als draußen vor dem Tempel das Vogelgezwitscher anhob, und sie hatte die Vorhänge beiseite gezogen, um den Morgen kommen zu sehen. Die Luft war frisch vom Duft des Frühlings, und an sämtlichen Bäumen zeigten sich die Knospen der Blätter. Farben, eine Vielzahl von Farben in der Welt, nach dem Anblick der schwärzlichen Äste und dem weißen Schnee des Winters. Es gab endlich wieder Grün, so leuchtend und lebendig, dass es sogar stärker war als das grünliche Nichtlicht Starkadhs. Während ihre Augen hinausblickten in den ersten Frühlingsmorgen, begann Jennifers Herz, das zugleich Guineveres Herz war, das gleiche zu tun. Und dies war nicht das Geringste unter Kevins Vermächtnissen.
    Es klopfte an der Tür. Sie öffnete sie und sah Matt Sören mit einem Spazierstock in der einen und Blumen in der anderen Hand dastehen.
    »Es ist Frühling«, sagte er, »und dies sind die ersten Blumen. Loren trifft sich im Palast mit zahlreichen Leuten. Ich habe mir gedacht, du könntest mit mir kommen zu Aideens Grab.«
     
    Während sie die unteren Ausläufer der Stadt umrundeten und auf einen Weg stießen, der nach Westen führte, erinnerte sie sich der Geschichte, die sie vor so langer Zeit von ihm vernommen hatte. Eigentlich war es gar nicht so lange her, aber ihr kam es so vor. Die Geschichte von Nilsom, dem Magier, der sich dem Bösen zugewandt, und von Aideen, seiner Quelle, die ihn geliebt hatte: Sie war die einzige Frau seit Lisen, die einem Magier als Quelle gedient hatte. Aideen war es gewesen, die Brennin und auch den Sommerbaum gerettet hatte vor Nilsom und dem wahnsinnigen König Raederth. Sie hatte sich geweigert, ihrem Magier Quelle zu sein, als das Ende nahte. Hatte ihm ihre Kräfte verweigert und sich dann selbst getötet.
    Matt hatte ihr die Geschichte im Großen Thronsaal von Paras Derval erzählt. Ehe sie ausgeritten war und die Lios Alfar getroffen hatte. Ehe Galadan seinerseits sie gefunden und dem Schwan ausgeliefert hatte.
    Nun gingen sie in westlicher Richtung, durch das Wunder dieses Frühlings, und überall, wohin Jennifer den Blick wandte, erwachte das Land zum Leben. Sie hörte Grillen zirpen, Bienen summen, sah einen Vogel mit scharlachroten Flügeln aus einem Apfelbaum auffliegen und dann ein braunes Kaninchen aus einem Gebüsch hervorhüpfen. Sie sah, dass Matt dies alles mit seinem einen Auge ebenfalls in sich aufnahm, wie um einen lange währenden Durst zu stillen. Schweigend gingen sie dahin inmitten der Laute der Hoffnung, bis Matt am Rande des Waldes schließlich stehen blieb.
    Jedes Jahr, hatte er ihr erzählt, pflegte der Rat der Magier Nilsom zu verfluchen, wenn er zur Wintersonnenwende zusammentrat. Und jedes Jahr belegten sie auch Aideen erneut mit ihrem Fluch – die das höchste Gesetz ihres Ordens gebrochen hatte, als sie ihren Magier im Stich ließ, auch wenn es darum gegangen war, Brennin vor der Zerstörung zu bewahren und den Baum, der in diesem Walde stand.
    Und jedes Frühjahr, hatte Matt gesagt, pflegten er und Loren die ersten Blumen zu diesem Grab zu bringen.
    Es war leicht zu übersehen. Man musste den Ort kennen. Ein Erdhügel ohne Grabstein, dem die Bäume am Rande des Mörnirwaldes Schatten spendeten. Trauer und Seelenfrieden zugleich überkamen Jennifer, als sie Matt niederknien und seine Blumen auf den Erdhügel legen sah.
    Trauer und Seelenfrieden, und dann, als sie gewahr wurde, dass der Zwerg weinte, traten endlich ihre eigenen Tränen aus dem Herzen hervor, das der Frühling aufgeschlossen hatte. Um Aideen weinte sie und um den heiteren Kevin, der für immer gegangen war, um Darien weinte sie und um die Wahl, die er zu treffen gezwungen war, um Laesha und Drance, welche niedergemetzelt worden waren, als sie entführt worden war, sowie um alle Lebewesen, die mit dem Schrecken der Finsternis konfrontiert waren, konfrontiert mit dem Krieg und dem Hass Maugrims, hineingeboren in die Zeit seiner Wiederkehr.
    Und endlich, endlich, weinte sie dort an Aideens Grab inmitten von Kevins Frühling um sich selbst und um Arthur.
    Es dauerte lange. Matt erhob sich nicht und blickte erst auf, als sie schließlich zu weinen aufhörte.
    »An diesem Ort findet das Herz Linderung«, sagte er.
    »Linderung?« fragte sie. Ein kleines, müdes Lachen. »Bei so vielen Tränen, von uns beiden vergossen?«
    »Manchmal sind sie der einzige Weg zur Linderung«, erwiderte er. »Fühlst du es denn

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