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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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das vierte Aufwallen ihn überkam, und er hörte das Krachen des Donners in seiner eigenen Stimme.
    Beim fünften Aufwallen rief er wieder den Namen, und ein letztes Mal, als das sechste Aufwallen in ihm hochbrauste. Beim siebenten Emporschießen seines Blutes aber schwieg Paul, und er wartete erneut.
    Weit draußen auf dem Meer sah er eine weiße Woge aufschäumen, höher als alle anderen, die heranrollten, der Tide entgegen. Als sie auf die lang gezogene, zurückweichende Brandung traf, als sie sich hoch und glitzernd daran brach, hörte er, ehe sie in sich zusammenfiel, eine Stimme rufen: »Fang mich doch, wenn du kannst!«, und in Gedanken tauchte er hinter dem Gott des Meeres her ins Wasser.
    Dort war es weder dunkel noch kalt. Die Lichter schienen überall zu sein, in bleichen Farbtönen – es war, als bewegte er sich inmitten gefallener Sternbilder.
    Etwas blitzte vor ihm auf. Ein silberner Fisch. Er folgte ihm, und der Fisch schlug einen Rückwärtshaken, um ihn abzuhängen. Er vollführte ebenfalls eine scharfe Kehrtwendung zwischen den Wassersternen. Tief unten gab es Korallen, grüne und blaue, rosafarbene, gelbliche und golden gefärbte. Der silberne Fisch schlüpfte unter einem Korallenbogen durch, und als Paul ebenfalls hindurchkam, war er verschwunden.
    Er wartete. Spürte ein weiteres Aufwallen.
    »Liranan!« rief er und fühlte, wie der Donner die Tiefen erbeben ließ. Als das Echo verhallte, sah er den Fisch wieder, größer jetzt und in den Regenbogenfarben der Korallen, die seine Flanken tüpfelten. Der Fisch floh, und er folgte ihm.
    Hinab tauchte er, und Paul mit ihm, weit hinab. Dort in den Tiefen, wo die Sterne des Meeres nur noch matt schimmerten und alle Farben verblasst waren, glitten sie vorbei an riesigen lauernden Schreckensgestalten.
    Empor schoss er, als wollte er sich dem Licht entgegenschleudern. An den Sternen vorbei durchbrach er die Wasseroberfläche in einem vom Mond erleuchteten Sprung, und vom Strand aus, wo Paul bis zu den Knöcheln in der Brandung stand, sah er ihn aufblitzen und herniederfallen.
    Und dann rannte er los. Keine gewundenen Wege jetzt. Auf geradem Kurs hinaus aufs Meer floh der Gott des Meeres vor der Donnerstimme. Und wurde verfolgt. So weit entfernten sie sich, dass selbst die Erinnerung an festes Land verblasste, dass Paul einmal glaubte, ein Singen in den Wellen zu vernehmen. Da fürchtete er sich, denn er erriet, was er da hörte. Er rief nicht wieder. Er sah vor sich den silbernen Fisch. Er gedachte all der Toten und der Lebenden in ihrer Not, und er holte Liranan weit draußen auf See ein und berührte ihn mit dem Finger seiner Gedanken.
    »Hab’ ich dich!« sagte er vernehmlich und atemlos am Strand, wo er sich seither nicht mehr bewegt hatte. »Komm«, keuchte er, »und gestatte, dass ich mit dir spreche, Bruder mein.«
    Und dann nahm der Gott seine wahre Gestalt an und erhob sich aus dem silberdurchzogenen Meer, und er schritt, schimmernd vom Wasser, das von ihm herabtropfte, dem Strand entgegen. Als er näher kam, sah Paul, dass das herabperlende Wasser Liranan als Gewand diente, seine Majestät zu bekleiden, und die Farben der Sterne des Meeres und der Korallen durchzogen es unablässig.
    »Du hast mich Bruder genannt«, sagte der Gott mit einer Stimme, welche zischte wie Wellen, die über Felsen und zwischen ihnen hindurchrauschen. Sein Bart war lang und weiß. Seine Augen waren von der Farbe des Mondes. Und fügte hinzu: »Wie kannst du dir so etwas herausnehmen? Gib dich zu erkennen!«
    »Du kennst meinen Namen«, erwiderte Paul. Das innere Aufwallen hatte aufgehört. Er sprach mit seiner eigenen Stimme. »Du kennst meinen Namen, sonst wärst du meinem Ruf nicht gefolgt.«
    »Keineswegs. Ich habe meines Vaters Stimme gehört. Nun höre ich sie nicht mehr. Wer bist du, dass du mit dem Donner Mörnirs zu sprechen vermagst?«
    Und Paul trat vor in die zurückweichende Tide, und er blickte dem Meergott direkt ins Gesicht, und er erklärte: »Ich bin Pwyll, der Zweimal Geborene, Herr des Sommerbaums«, und Liranan veranlasste die Wellen des Meeres, um sie beide herum hochzubranden.
    »Davon habe ich erzählen hören«, entgegnete der Gott des Meeres. »Nun verstehe ich.« Er war sehr groß. Es war nicht leicht auszumachen, ob die gleitenden Wasser seines Gewandes zu seinen Füßen ins Meer herabfielen, oder ob sie sich aus ihm erhoben oder beides zugleich. Er war schön und schrecklich und hatte einen’ gestrengen Blick. »Was ist also dein

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