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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Ebene zu gelangen.
    Hätte er bis zum Einbruch der Dunkelheit gewartet, hätte Rakoth sie ungesehen auf einen Ritt schicken können, der die ganze Nacht dauerte. Er hatte nicht abgewartet, und Ra-Tenniel sprach ein kurzes Dankgebet. Rasch drehte er sich um, und ebenso rasch kehrten er und Leyse zum Atronel zurück. Sie sandten in dieser Nacht kein Licht hinaus, nicht, solange ein Heer der Finsternis im Lande sein Unwesen trieb. Stattdessen versammelten sie sie um sich, die Ranghöchsten der Siegel, dort auf dem Gipfel des Atronel. Wie der König vermutet hatte, war es die grimmige Galen, die sogleich verkündete, sie werde nach Celidon reiten. Und wie er sich ebenfalls sicher zu sein glaubte, war Lydan, so vorsichtig er auch sein mochte, nicht bereit, seine Zwillingsschwester allein reiten zu lassen. Sie wandten sich zum Gehen, als Ra-Tenniel sie entließ. Doch er hob die Hand, um sie noch einmal aufzuhalten.
    »Ihr werdet euch beeilen müssen«, mahnte er. »Nehmt die Raithen. Es ist an der Zeit, dass die goldenen und silbernen Pferde Daniloths wieder in Fionavar gesehen werden.« Galens Augen verfärbten sich blau, und einen Augenblick darauf auch die ihres Bruders. Dann brachen sie auf.
    Mit Hilfe jener, die zurückblieben, veranlasste Ra-Tenniel das Rufglas zu einer dringenden Warnung, damit das andere Glas in den Gemächern des Königs in Paras Derval ebenfalls zum Leben erwache.
    Es war nicht ihre Schuld, dass der Großkönig sich in Taerlindel aufhielt in jener Nacht, und dass er nicht zurückkehren würde, um die Nachricht vom Aufflammen des Rufglases entgegenzunehmen, nicht vor dem Abend des folgenden Tages.
     
    Er konnte nicht schlafen. Spät in der Nacht stand Paul auf und spazierte vom Haus der Mutter Colls hinab zum Hafen. Der abnehmende Mond stand hoch am Himmel, und er hinterließ eine Silberspur auf dem Meer. Es herrschte Ebbe, und der Sand erstreckte sich weithin bis zu dem Felsvorsprung. Der Wind hatte gedreht, kam jetzt von Westen. Es war kühl, das wusste er, doch er schien nach wie vor der Kälte gegenüber unempfindlich zu sein, ob das nun natürlich war oder nicht. Dies war einer der wenigen Hinweise auf das, was er war. Dies und die Raben und die stille, abwartende Gegenwart in seinem Pulsschlag.
    Die Prydwen lag ruhig vor Anker. Man hatte sie im letzten Abendlicht beladen, und Colls Großvater hatte erklärt, sie sei jederzeit bereit, in See zu stechen. Im Licht des Mondes glänzte die goldene Farbe auf ihrem Rumpf wie Silber, und die gerafften weißen Segel schimmerten.
    Es war sehr still. Er ging über die hölzerne Hafenanlage zurück, und abgesehen vom leisen Schlagen der Wellen gegen die Boote waren seine Schritte die einzigen Laute. In Taerlindel brannte nirgendwo Licht. Hoch droben strahlten hell die Sterne, selbst im Mondschein.
    Jenseits des Hafens angelangt, ging er die steinerne Mole entlang, bis auch sie endete. Er kam am letzten Haus der kleinen Stadt vorbei. Dort gab es einen Pfad, der ein Stück den Hang hinauf nach Osten führte und somit dem Einschnitt der Bucht folgte. Es war hell genug, ihn zu erkennen, und er folgte ihm. Nach etwa hundert Metern war er am höchsten Punkt angelangt, von wo aus der Pfad hinab und gen Norden führte, und nach einer Weile erreichte er wieder sandiges Gelände und einen lang gestreckten Strand, der zum Meer hin offen lag.
    Hier waren das Strömen und Seufzen der Wellen lauter. Beinahe vernahm er darin etwas, doch dieses Beinahe genügte nicht. Er zog seine Stiefel und Strümpfe aus, ließ sie dort zurück und schritt aufs Meer zu. Der Sand war noch nass, wo die Flut zurückgespült worden war. Die Wellen glitzerten phosphoreszierend silbrig. Er fühlte, wie der Ozean seine Füße umspülte. Es musste kalt sein, das wusste er, doch er spürte es nicht. Er trat noch ein wenig weiter hinaus und blieb dann im knöcheltiefen Wasser stehen, nur um zugegen zu sein, jedoch ohne etwas zu erwarten. Er stand ganz still da und versuchte, ohne zu wissen wie, auch jetzt noch, mit sich ins reine zu kommen, was er war. Er horchte. Hörte nichts als das leise Plätschern des Meeres.
    Und dann spürte er, wie in seinem Innern das Blut aufwallte. Er befeuchtete seine Lippen. Er wartete; es wiederholte sich. Beim dritten Mal glaubte er, den Rhythmus erfasst zu haben, der nicht mit dem des Meeres übereinstimmte, weil er nicht vom Meer her kam. Er blickte hinauf zu den Sternen, aber nicht nach hinten auf das Land. Mörnir , betete er.
    »Liranan!« rief er, als

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