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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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gearbeitet. Meinen Vater habe ich nie gekannt. Die Seeleute haben mich alle gemeinsam aufgezogen, so kam es mir manchmal vor. Haben mir alles beigebracht, was sie wussten. Meine ersten Erinnerungen drehen sich darum, dass man mich hochgehoben hat, um ein Schiff zu steuern, als ich noch zu klein war, um selbst an die Ruderpinne heranzureichen.«
    Seine Stimme war tief und leise. Paul entsann sich der einen anderen Gelegenheit, da sie des Nachts allein miteinander gesprochen hatten. Über den Sommerbaum. Wie viele Jahre her das zu sein schien.
    Coll erzählte weiter: »Ich war siebzehn, als Diarmuid und Aileron zum ersten Mal kamen, um den Sommer in Taerlindel zu verbringen. Ich war älter als beide und hatte mir fest vorgenommen, die königlichen Bälger zu verachten. Aber Aileron … hat alles so unmöglich schnell begriffen und ebenso unmöglich gut beherrscht, und Diar … .« Er hielt inne. Paul sah, dass ein Lächeln der Erinnerung das Gesicht des anderen überflog.
    »Und Diar hat alles auf seine Weise gemacht und genauso gut, und er hat mich bei einer Rauferei draußen vor dem Haus des Vaters meiner Mutter besiegt. Dann hat er, um die Sache wiedergutzumachen, uns beide verkleidet und mich mit in die Schenke genommen, in der meine Mutter arbeitete. Ich durfte dort nicht hinein, weißt du. Selbst meine Mutter hat mich in dieser Nacht nicht erkannt – sie glaubten alle, ich sei mit einer der Hofdamen aus Paras Derval gekommen.«
    »Damen?« fragte Paul.
    »Diar spielte das Mädchen. Er war noch jung, musst du bedenken.« Sie lachten leise in der Dunkelheit. »Ich habe mich nur ein klein wenig über ihn gewundert, aber dann hat er zwei Mädchen aus der Stadt dazu gebracht, mit uns oberhalb des Pfades am Strand spazierenzugehen.«
    »Ich kenne die Stelle«, warf Paul ein.
    Coll blickte ihn von der Seite an. »Sie kamen mit, weil sie glaubten, Diarmuid sei eine Frau und ich ein Fürst aus Paras Derval. Wir haben drei Stunden am Strand verbracht. Ich hatte noch nie in meinem Leben so gelacht wie damals, als er seine Röcke auszog, um zu schwimmen, und ich ihre Gesichter sah.«
    Sie schmunzelten beide. Paul begann soeben, etwas zu verstehen, doch etwas anderes begriff er noch nicht.
    »Später, als seine Mutter starb, wurde er zum Hüter der Südmark ernannt – ich denke, sie wollten ihn vor allen Dingen aus Paras Derval loswerden. Damals in jenen Tagen war er noch unberechenbarer. Obendrein war er jünger, und er hatte die Königin geliebt. Er kam nach Taerlindel und bat mich, sein Stellvertreter zu werden, und ich ging mit ihm.«
    Der abnehmende Mond stand im Westen, als wäre er es, der ihnen den Weg wies. Paul betrachtete ihn und sagte: »Er hat Glück gehabt, dich zu bekommen. Als Gegengewicht, um ihn auf der Erde zu halten. Und jetzt auch noch Sharra. Ich glaube, sie passt zu ihm.«
    Coll nickte. »Ich glaube auch. Er liebt sie. Er liebt mit großer Heftigkeit.«
    Paul verarbeitete das, und nach einer Weile begann sich auch das eine aufzuklären, was er nicht ganz verstanden hatte.
    Er blickte zu Coll hinüber. Er konnte sein kantiges, ehrliches Gesicht mit der großen, vielfach gebrochenen Nase ausmachen. Er wechselte das Thema: »In der einen anderen Nacht, in welcher wir uns allein unterhalten haben, hast du gesagt, wenn du über irgendwelche Macht verfügen könntest, würdest du Aileron verfluchen. Damals war dir nicht einmal erlaubt, seinen Namen auszusprechen. Erinnerst du dich noch?«
    »Natürlich erinnere ich mich«, bekannte Coll ruhig. Um sie herum schienen die, leisen Geräusche des Schiffes, die Stille der Nacht nur noch weiter zu vertiefen.
    »Liegt es daran, dass er alle Liebe des Vaters für sich beansprucht hatte?«
    Coll sah ihn an, immer noch ruhig. »Zum Teil«, sagte er. »Du warst von Anfang an geschickt im Erraten von Zusammenhängen, das weiß ich noch. Aber es gibt noch einen zweiten Grund, und den müsstest du eigentlich auch herausfinden können.«
    Paul dachte darüber nach. »Also –«, begann er.
    Über das Wasser hinweg drang ein Singen zu ihnen.
    »Hört nur!« rief Averren unnötigerweise.
    Sie lauschten alle, die sieben Männer, die auf der Prydwen wachten. Das Singen kam von vorn und von der Steuerbordseite. Averren drehte die Ruderpinne, damit sie näher heran kamen. Flüchtig und leise waren diese Klänge, dünn und schön.
    Wie ein zartes Netz spannten sie sich aus der Dunkelheit auf sie zu, gewoben aus süßer Trauer und Verlockung. Es vermischten sich darin zahlreiche

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