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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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sie die Wahl hat«, wiederholte er einen Augenblick darauf.
    »Zu Anfang wohl«, brummte der Zwerg.
    »Wäre ich Metran, was hättest du unternommen?«
    »Dir das Herz aus dem Leib geschnitten!« erklärte Matt Sören.
    Loren sah seine Quelle an, und ein Lächeln begann seinen Mund zu umspielen. »Ganz bestimmt?« fragte er.
    Lange Zeit hielt Matt seinem Blick stand. Dann verzog er das Gesicht und schüttelte den Kopf. Wieder wandte er sich dem Meer zu. Paul spürte, wie ihrer aller Spannung nachließ. Das Ergebnis war nicht Erleichterung, sondern Resignation. Er war sich nicht sicher, warum ihn das Eingeständnis des Zwerges stärkte, aber so war es nun einmal. Er erinnerte sich an etwas, das mit der Nacht zu tun hatte, die er am Strand verbracht hatte.
    »Loren, wann hören die Lios ihr Lied?«
    Der Magier warf ihm einen Seitenblick zu. »Wenn sie bereit sind. Normalerweise ist es Erschöpfung, die sie zum Gehen veranlasst.«
    »Was tun sie dann?«
    »Sie bauen in Daniloth ein Schiff und setzen in einer Nacht ohne Mondschein die Segel gen Westen.« »Wohin? Zu einer Insel?«
    Loren schüttelte den Kopf. »Ihr Ziel liegt nicht in Fionavar. Wenn ein Lios Alfar weit genug nach Westen segelt, vollzieht er den Übergang in eine andere Welt. In eine Welt, die der Weber für sie allein geschaffen hat. Zu welchem Zweck, das weiß ich nicht, und sie übrigens auch nicht.«
    Paul schwieg.
    »Warum fragst du?« wollte Matt unvermittelt wissen.
    Paul zögerte. »Ich habe draußen auf See ein Lied gehört, noch vor unserer Abreise.«
    Sie blickten ihn beide an, ohne etwas zu sagen.
     
    Er hatte seit Kevins Tod ohnehin schlecht geschlafen, daher hatte Paul sich freiwillig zu einer der Wachen gemeldet, die dem Morgengrauen vorangingen. Er nutzte die Zeit zum Nachdenken und Erinnern. Die einzigen Laute waren das Knarren des Schiffes und das Plätschern der Wellen drunten in der Dunkelheit. Über ihm waren die drei Segel der Prydwen prall gefüllt, und sie trieben mühelos mit dem Wind dahin. Vier weitere Wachleute hatten auf Deck Stellung bezogen, und der rothaarige Averren stand am Ruder.
    Da niemand sich in seiner Nähe aufhielt, war das eine Zeit, die er ganz für sich hatte, beinahe friedlich. Er ließ sich von seinen Erinnerungen treiben. Kevins Tod würde nie aufhören, ihm weh zu tun, aber er würde auch nie aufhören, Gegenstand seiner Verwunderung, ja sogar der Bewunderung zu sein. So viele Menschen starben im Krieg, so viele waren bereits in diesem gestorben, doch keiner hatte der Finsternis so einen Schlag versetzt mit seinem Übergang in die Ewige Nacht. Und keinem, dachte er, würde es je wieder gelingen. Rahod hedai Liadon , hatten die Priesterinnen im Tempel bei Paras Derval geklagt, während draußen innerhalb einer Nacht das grüne Gras wiedergekehrt war. Durch das Netz des Kummers, das sein Herz umfing, konnte Paul schon spüren, dass darin ein Licht zu leuchten begann. Sollte Rakoth Maugrim sich doch fürchten, sollte jedermann in Fionavar – selbst die gefühlskalte Jaelle – doch anerkennen, was Kevin da zustande gebracht, was seine Seele da geleistet hatte.
    Und doch, dachte er, um ehrlich zu sein, sie hatte seine Tat anerkannt, sogar zweimal. Er schüttelte den Kopf. Die Hohepriesterin mit ihren smaragdgrünen Augen war mehr, als er sich im Augenblick zumuten wollte. Er dachte an Rachel und erinnerte sich an Musik. An ihre Musik und dann an die von Kevin, damals in der Schenke. Nun würden sie sich diesen Bereich für immer teilen müssen, in seinem Innern. Das war eine Erkenntnis, die ihm nicht leicht fiel.
    »Störe ich dich?«
    Paul warf einen Blick zurück, und einen Augenblick darauf schüttelte er den Kopf.
    »Nächtliche Gedanken«, sagte er.
    »Ich konnte nicht schlafen«, murmelte Coll und trat an die Reling. »Dachte, ich könnte hier oben irgendwie nützlich sein, aber es ist eine ruhige Nacht, und Averren macht seine Sache gut.«
    Paul lächelte wieder. Horchte auf die leisen Geräusche des Schiffes und des Meeres. »Dies ist eine eigenartige Stunde«, bemerkte er. »Aber mir gefällt sie. Ich war noch nie auf See.«
    »Ich bin auf Schiffen aufgewachsen«, entgegnete Coll ruhig. »Für mich ist es, als wäre ich heimgekehrt.«
    »Warum hast du dann überhaupt aufgehört?«
    »Diar hat mich darum gebeten«, sagte der vierschrötige Mann einfach. Paul wartete, und nach einer Weile legte Coll die Hände locker auf die Reling und fuhr fort: »Meine Mutter hat in der Schenke in Taerlindel

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