Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
vorbereitet.«
    »Was für eine Art Fremder?«
    »Ich hatte gehofft, das später noch herausfinden zu können. Aber wenn ihr hier seid, ändert das die Lage. Ich will nicht, dass er Meldung macht, Kim und Paul seien wieder da.«
    »Kim ist nicht da. Paul schon.«
    »Wo?« fragte der Prinz barsch.
    »In der Nähe der Tür.«
    Inzwischen waren sie von unzähligen Menschen umringt: von Carde und Erron, von Coll, von einer ganzen Reihe Frauen. Als sie sich endlich bis zur Tür durchgekämpft hatten, war es zu spät, um noch etwas unternehmen zu können.
     
    Paul verfolgte den Kampf mit einigem Befremden. Wie es schien, konnte im Grunde gar nichts in Diarmuid das Gefühl nüchternen Verantwortungsbewusstseins hervorrufen. Und doch war der Prinz mehr als nur ein Taugenichts; das hatte er in der kurzen Zeit, die sie im Frühjahr hier verbracht hatten, zu oft bewiesen, als dass darüber noch hätte ein Zweifel bestehen können.
    Im Frühjahr. Besser gesagt, im vergangenen Frühjahr, wenn nun schon bald Sommersonnenwende war, und hierüber wie über die Bedeutung dieses grausamen, künstlich über sie verhängten Winters geriet Paul ins Grübeln. Und insbesondere über etwas, das ihm auf dem eisigen Weg vom Palast zur Schenke aufgefallen war.
    Daher war er selbst inmitten des Tumults gänzlich von seinen Schlussfolgerungen und Vermutungen in Anspruch genommen. Nur mit einem Auge sah er Kevin auf Daves Schultern steigen, worauf die zwei losstürmten und das Paar von der Nordfeste einfach von hinten umrannten. Das Gebrüll, das sich daraufhin erhob, ließ ihn aufhorchen, und er grinste, während er das Bild in sich aufnahm. Der lustige, lustige Kevin Laine, auf seine Weise ebenso verantwortungsscheu wie Diarmuid und ebenso voller Leben.
    Sein Grinsen wurde zu einem Lachen, als er Tegid vorwärtspoltern sah, um Dave in seine mächtigen Arme zu schließen, und dann verzog er das Gesicht, als sie alle vier krachend zu Boden fielen.
    So in Anspruch genommen, so gänzlich in Anspruch genommen, nahm er die Gestalt nicht wahr, die sich, trotz der brütenden Hitze im Schankraum des Keilers in Umhang und Kapuze gehüllt, soeben vorsichtig an ihn heranmachte.
    Doch einem anderen entging sie nicht. Einem, der Kevin und Dave gesehen hatte und nun annahm, dass auch Paul da sei. Und gerade als die verhüllte Gestalt auf gleicher Höhe mit ihm war, schob sich jemand zwischen sie.
    »Halt ein, Schwester! Auf den hier habe ich ältere Rechte«, sagte die braunhaarige Tiene. »Du kannst die anderen haben für dein Bett, wo immer es auch stehen mag, er aber gehört mir, ihn nehme ich heute Nacht zu mir nach oben.«
    Paul drehte sich um und erblickte das schmächtige, hübsche Mädchen, dessen Tränen ihn vor einem Jahr mitten aus dem Liebesakt in die Nacht hinausgetrieben hatten, und aus jener sternenklaren Nacht, nachdem er auch noch ein Lied gehört hatte, das nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war, an den Sommerbaum.
    Und eben weil er am Sommerbaum gehangen und es überlebt hatte, eben weil ihn der Gott zurückgesandt hatte, war die verhüllte Gestalt, bei der es sich in der Tat um eine Frau handelte, wenn auch um keines Sterblichen Schwester, hierher gekommen, um ihn auf der Stelle zu ermorden.
    Bis das törichte, naseweise Mädchen dazwischengetreten war. Aus dem Umhang kam eine Hand hervor und stieß Tiene mit einem ihrer langen Finger an. Nicht mehr, doch das Mädchen stöhnte, als ein eisiger, betäubender Schmerz durch seinen Arm schoss, wo es berührt worden war. Es spürte, dass es hinfallen musste, und im Fallen streckte es den anderen Arm aus, zu dem die Kälte noch nicht vorgedrungen war, und riss der anderen Frau die Kapuze vom Gesicht.
    Es war ein menschliches Gesicht, aber mehr auch nicht. Die Haut so weiß, dass sie beinahe bläulich wirkte; man sah es ihr an, dass sie sich bei Berührung kalt anfühlen musste. Sie war völlig kahl, und ihre Augen waren von der Farbe, mit der sich der Mond im Eis spiegelt, im Gletschereis, und sie waren so kalt, dass sie in den Herzen derer, die dort hineinblickten, Winter werden ließen.
    Doch nicht bei Paul. Er begegnete ihrem Blick und sah sie für einen Augenblick vor etwas zurückschrecken, das sie in den Tiefen seiner Augen las. In ihrer Umgebung schien, so unglaublich das auch sein mochte, niemand etwas bemerkt zu haben, nicht einmal Tienes Sturz. Immerhin fielen in jener Nacht überall im Schankhaus die Gäste um.
    Doch nur ein Mann hörte einen Raben sprechen. Gedanke,

Weitere Kostenlose Bücher