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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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wahrzunehmen, denn Jaelle gab der anderen Frau keine Antwort. Ein Vogel flog plötzlich von der Tempelmauer hinter den Mormae auf, sein lauter Flügelschlag durchbrach die Stille.
    Dann zog Jaelle einen ihrer gestiefelten Füße zierlich aus dem Steigbügel und streckte ihn Audiart entgegen.
    Selbst auf diese Entfernung erkannte Loren, dass die andere erblasste, dann ließen die Mormae ein leises Raunen vernehmen. Einen Augenblick lang verharrte Audiart regungslos, den Blick auf Jaelles Gesicht gerichtet, dann trat sie mit zwei langen Schritten vor und half ihr beim Absteigen, indem sie neben dem Pferd der Hohepriesterin die Hände verschränkte.
    »Fahrt fort«, murmelte Jaelle, wandte ihr den Rücken zu und schritt durch die Tore des Tempels auf die rotgewandeten Mormae zu. Eine nach der anderen sah Loren sie niederknien, um ihren Segen zu empfangen. Er schätzte, dass nicht eine darunter war, die nicht mindestens doppelt so alt wie Jaelle gewesen wäre. Macht über Macht, dachte er, und wusste, dass noch mehr bevorstand.
    Wieder sprach Audiart. Zu Aileron gewandt, dessen bärtiges Gesicht auf für ihn typische Weise ausdruckslos war, sagte sie: »Ihr seid gekommen, und das ist gut. Lange Jahre sind vergangen, seit der König von Brennin zuletzt zur Mittsommernacht Gwen Ystrat besucht hat.«
    Sie hatte die Stimme erhoben, und Loren hörte das plötzliche Flüstern unter den Reitern. Und er bemerkte, dass auch Aileron nicht daran gedacht hatte, um was für ein Datum es sich handelte. Es war an der Zeit, etwas zu unternehmen.
    Der Magier ritt an die Seite des Großkönigs vor. Mit lauter Stimme verkündete er: »Ich zweifle nicht daran, dass die Riten der Göttin genauso vonstatten gehen werden, wie es immer gehalten wurde. Wir kümmern uns nicht darum. Ihr habt vom Großkönig Hilfe erbeten, und er ist gekommen, Euch diese Hilfe zu gewähren. Morgen wird im Leinanwald eine Wolfsjagd stattfinden.« Er verstummte und hielt ihrem starren Blick stand, wobei er spürte, wie die alte Wut in ihm aufbrandete. »Wir sind auch noch aus einem zweiten Grund gekommen. Mit Billigung und Unterstützung Eurer Hohepriesterin. Ich möchte klargestellt wissen, dass die Maidaladan-Riten die beiden Angelegenheiten, die zu erledigen wir gekommen sind, nicht behindern dürfen.«
    »Soll ein Magier in Gwen Ystrat Befehle erteilen dürfen?« fragte sie in einem Ton, der ihn einschüchtern sollte.
    »Der Großkönig tut es.« Nachdem er Zeit gehabt hatte, sich zu fangen, klang Ailerons Stimme unverblümt herrisch. »Und als Hüterin meiner Provinz Gwen Ystrat erlege ich Euch jetzt auf, sicherzustellen, dass alles so geschieht, wie es mein Erster Magier von Euch gefordert hat.«
    Dafür, das wusste Loren, würde sie Rache fordern.
    Ehe Audiart jedoch antworten konnte, hörten sie hohes, schrilles Gelächter erschallen. Loren blickte hinüber und sah, dass Gereint im Schnee hin und her wankte und dabei vor Belustigung gackerte.
    »Oh, junger Mann«, rief der Schamane, »bist du immer noch so voller Leidenschaft? Komm! Es ist lange her, seit ich zuletzt dein Gesicht ertastet habe.«
    Es dauerte einen Moment, bis Loren erkannte, dass Gereint ihn meinte. Mit einem Gefühl der Beschämung, das ihn vierzig Jahre zurückversetzte, stieg er vom Pferd.
    In dem Augenblick, als er den Boden berührte, verspürte er ein weiteres, tiefergehendes Aufwallen körperlichen Verlangens. Er konnte es nicht vollständig verbergen und sah, wie Audiarts Mund sich vor Genugtuung verzog. Er meisterte die Versuchung, ihr etwas sehr Grobes entgegenzuschleudern. Stattdessen ging er zu den Dalrei hinüber. Er umarmte Ivor wie einen alten Freund.
    »Leuchtend die Stunde, die wir einander wieder sehen, Aven«, begrüßte er ihn. »Revor wäre stolz auf dich.«
    Der untersetzte Ivor lächelte. »Nicht so stolz wie Amairgen auf dich, Erster Magier.«
    Loren schüttelte den Kopf. »Noch nicht«, sagte er ernst. »Nicht, ehe der vorangegangene Erste Magier tot ist und ich seine Knochen verflucht habe.«
    »So voller Leidenschaft!« wiederholte Gereint, wie er es beinahe schon erwartet hatte.
    »Lass ab davon, alter Mann«, erwiderte Loren, aber so leise, dass nur Ivor es noch hören konnte. »Es sei denn, du könntest behaupten, dass du nicht in meinen Fluch einstimmen willst.«
    Diesmal lachte Gereint nicht. Er wandte seine blicklosen Augenhöhlen Loren zu und betastete mit knorrigen Fingern das Gesicht des Magiers. Dazu musste er nahe an ihn herantreten, so dass er seine

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