Das wandernde Feuer
Schluchzen an ihr Ohr.
Die Nische besaß keine Tür, und so schaute sie im Vorbeigehen hinein und blieb stehen, als sie sah, dass es sich um Leila handelte. Schon wollte sie weitergehen, denn der Schmerz des Mädchens lag offen zutage, und sie wusste, dass es stolz war, aber da blickte Leila von der Bank, auf der sie saß, zu ihr auf.
»Es tut mir leid«, sagte Jennifer. »Kann ich irgendetwas tun, oder soll ich lieber gehen?«
Das Mädchen, an das sie sich noch vom Ta’kiena her erinnerte, sah sie mit tränenerfüllten Augen an. »Niemand kann etwas tun«, erwiderte sie. »Ich habe den einzigen Mann verloren, den ich je lieben werde!«
All ihrer Sympathie und milden Sanftheit zum Trotz musste sich Jennifer doch zusammennehmen, jetzt nicht zu lächeln. Leilas Stimme war derart erfüllt von der allumfassenden Verzweiflung der Jugend, dass Jennifer sich in die Qualen ihres eigenen Heranwachsens zurückversetzt fühlte.
Andererseits hatte sie nie jemanden auf die Art verloren, wie dieses Mädchen gerade Finn verloren hatte, noch war sie je mit jemandem auf eine Weise verbunden gewesen, wie es bei Leila und Finn der Fall gewesen war. Das Lächeln verging ihr. »Es tut mir leid«, wiederholte sie. »Du hast Grund zum Weinen. Würde es dir helfen, zu hören, dass der Schmerz mit der Zeit erträglicher wird?«
Als habe es kaum zugehört, murmelte das Mädchen: »Bei Vollmond zur Wintersonnenwende, in einem halben Jahr, werden sie mich fragen, ob ich mich dieser Tracht zu weihen wünsche. Ich werde zustimmen. Ich werde niemals einen anderen Mann lieben.«
Leila war noch ein Kind, aber in ihrer Stimme vernahm Jennifer unerschütterliche Entschlossenheit.
Sie war davon ergriffen. »Du bist noch sehr jung«, gab sie ihr zu bedenken. »Du solltest durch Trauer nicht so leicht der Liebe entsagen.«
Das Mädchen blickte zu ihr auf. »Und welches Recht hast du, so zu sprechen?« fragte Leila. Selbst in dieser Welt gedämpfter Töne besaßen ihre Worte die Schärfe eines Dolchs, der sein Ziel trifft.
»Das ist ungerecht«, bemerkte Jennifer nach einem Augenblick entsetzten Schweigens.
Auf Leilas Wangen glitzerten die Tränen. »Schon möglich«, gab sie zu. »Aber wie oft hast du selbst geliebt? Hast du nicht dein ganzes Leben auf ihn gewartet? Und nun, da Arthur hier ist, fürchtest du dich.«
Sie war einmal Guinevere gewesen und konnte mit so etwas umgehen. Verärgerung war ihr ein allzu fahriges Gefühl, darum entgegnete sie sanft: »Erscheint es dir so?«
Diesen Tonfall hatte Leila nicht erwartet. »Ja«, antwortete sie, doch es klang nicht trotzig.
»Du bist ein weises Kind«, sagte Jennifer, »und vielleicht sogar mehr als nur ein Kind. Du bist nicht ganz im Unrecht, aber es steht dir nicht an, über mich zu urteilen, Leila. Es gibt gewaltige Schmerzen und geringere, und ich versuche gerade herauszufinden, welches der geringere ist.«
»Der geringere Schmerz«, wiederholte Leila. »Wo liegt die Freude?«
»Nicht hier«, belehrte sie Jennifer.
»Aber warum nicht?« Und diese Frage kam von einem verletzten Kind.
Ihre Antwort überraschte sie selbst. »Weil ich ihn einmal vor langer Zeit vernichtet habe. Und weil ich selbst im letzten Frühjahr hier vernichtet wurde. Er ist zu Freudlosigkeit und zum Krieg verdammt, und ich kann nicht zu ihm finden, Leila. Selbst wenn ich es könnte, würde ich ihn am Ende zerstören. Das tue ich immer.«
»Muss es sich denn wiederholen?«
»Ein ums andere Mal«, erklärte sie. Die Sage aus alter Zeit. »Bis ihm Erlösung gewährt wird.«
»Dann gewähre sie ihm«, riet Leila schlicht. »Wie sollte er Erlösung finden, wenn nicht durch Schmerz? Wodurch könnte er sie sonst erlangen? Gewähre sie ihm.«
Und damit schien all das alte Leid wieder über sie gekommen zu sein. Sie konnte es nicht aufhalten. Sie empfand grellen Schmerz in allen Schattierungen von Schuld und Trauer, gefärbt von der Erinnerung an Liebe, Liebe und Verlangen, und -
»Es steht mir nicht zu, sie zu gewähren!« rief sie. »Ich habe sie beide geliebt!«
Das Echo wiederholte ihre Worte. Sie standen in der Nähe des Kuppelsaals, und jeder Laut hallte darin wider. Leilas Augen öffneten sich weit. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir leid!« Und sie trat vor und barg ihren Kopf an Jennifers Brust, nachdem sie in tiefere Bereiche vorgedrungen war, als sie ahnen konnte.
Unwillkürlich streichelte Jennifer das helle Haar und sah, dass ihre Hände dabei zitterten. Doch es war das Mädchen, das
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