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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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nutzloses Umsichschlagen während der Schlacht auf der Ebene vor drei Nächten war eine noch frische Wunde.
    Er hatte das Gefühl des Neides überwunden – hatte sich ohnehin nicht lange damit aufgehalten – das entsprach eben nicht seiner Natur. Allerdings war er es gewohnt, wenigstens etwas zu tun. Er hatte aufgehört, Paul oder Kim ihre geheimnisvollen, belastenden Kräfte zu missgönnen – Kims Qualen letzte Nacht nahe dem Pendaranwald und Pauls Einsamkeit hatten diesen Neid fortgewischt und eine Art Mitleid zurückgelassen.
    Es verlangte ihn nicht nach den Rollen, die sie zu spielen hatten, auch nicht nach Daves axtschwingender Stärke, und keiner, der noch bei Verstand war, würde an dem Schicksal Anteil haben wollen, das Jennifer auferlegt worden war. Er wollte nichts weiter, als seine Bestimmung zu kennen, als eine Möglichkeit zu erhalten, wie unbedeutend auch immer, wie er den tiefempfundenen Schwur, den er abgelegt hatte, in die Tat umsetzen konnte.
    Eigentlich waren es zwei Schwüre. Er hatte sich zweimal dazu hinreißen lassen. Einmal im Großen Thronsaal, als Brendel die Nachricht überbracht hatte, dass die Lios Alfar ums Leben gekommen waren und man Jennifer entführt hatte. Und dann noch ein zweites Mal, als sie von Kim nach Hause zurückgebracht worden war, und er hinabgeblickt hatte auf das, was man der Frau angetan hatte, der einmal seine Liebe galt, als er sich gezwungen hatte, nicht den Blick abzuwenden, damit er dieses schmerzliche Bild immer vor Augen habe, falls der Mut ihn je zu verlassen drohte.
    Das Bild war ihm noch gegenwärtig, auch der Mut hatte ihn nicht verlassen – dessen hatte er sich vergewissert. Er empfand keine Angst vor der morgigen Jagd, was immer die anderen auch glauben mochten. Er war sich bloß in erbitterter Ehrlichkeit der Tatsache bewusst, dass ihm dabei keine andere Aufgabe zufiel, als mitzureiten.
    Und dies war für Kevin Laine die Situation, mit der er, auf welcher Welt auch immer, am schwersten fertig wurde. Hier in Fionavar kam er sich vor allen Dingen gänzlich unfähig vor. Und wieder verzog sich dort in der Kälte erbittert sein Mund, denn diese Beschreibung war nun einmal ganz besonders treffend. Jeder Mann in Gwen Ystrat spürte die Anziehungskraft der Göttin. Jeder Mann, nur er nicht, für den während der Jahre des Erwachsenseins das Funktionieren des körperlichen Verlangens eine mit tiefen Gefühlen verbundene und lang anhaltende konstante Größe gewesen war, was nur den Frauen bekannt war, die eine Nacht mit ihm verbracht hatten.
    Falls es stimmte, dass Liebe und Verlangen der Göttin zu Eigen waren, dann sah es ganz danach aus, als wollte selbst sie ihn im Stich lassen. Und was blieb ihm dann übrig?
    Er schüttelte den Kopf – darin steckte zuviel Selbstmitleid. Übrig war nach wie vor Kevin Laine, der als gescheit und wohl bewandert galt, ein Star der juristischen Fakultät und ein Mann, der es zu etwas bringen würde, wie jedermann behauptete, wenn er bei Gericht zugelassen wurde. Er hatte Respekt erlebt und Freundschaft, und er war geliebt worden, mehr als nur einmal. Er besaß, hatte ihm vor Jahren eine Frau gesagt, ein Gesicht, das wie geschaffen war, glücklich zu sein. Eine eigenartige Bemerkung, und er hatte sie nicht vergessen.
    Es gibt, redete er sich ein, in so einem Lebenslauf keinen Platz für weinerliches Selbstmitleid.
    Andererseits, und dieses Andererseits zählte nun einmal, war die ganze Pracht seiner Errungenschaften unverrückbar in seiner eigenen Welt angesiedelt. Wie konnte er sich zukünftig mit scheinbaren Prozeßtriumphen zufrieden geben? Wie sein Augenmerk auf juristische Findigkeit beschränken, nach allem, was er hier erlebt hatte? Was konnte daheim überhaupt noch von Bedeutung sein, nachdem er mit angesehen hatte, wie der Rangat eine brennende Hand in den Himmel schleuderte, und nachdem er das Gelächter des Entwirkers im Nordwind gehört hatte?
    Sehr wenig, beinahe gar nichts. Eigentlich nur eins, das allerdings war ihm sicher, und mit den Herzensqualen, die immer dann auftraten, wenn er es eine Weile nicht getan hatte, dachte Kevin an seinen Vater.
    »Fur gezunger heig, um cum gezunger heig«, hatte Sol Laine auf Jiddisch gesagt, als Kevin ihm mitgeteilt hatte, er müsse innerhalb der nächsten zehn Stunden nach London fliegen. Geh heil und komme heil wieder. Nicht mehr, und darin kam grenzenloses Vertrauen zum Ausdruck. Hätte Kevin sich ihm anvertrauen wollen, dann hätte er die Reise näher begründet.

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