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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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ergangen. Diarmuids Schar jedoch schien wie immer das Vergnügen zu haben, gegen solche disziplinarischen Vorschriften gefeit zu sein.
    »Das«, entgegnete Erron zu Carde, »ist bestenfalls die halbe Wahrheit.« Er hob die Hand, um eine weitere Flasche GwenYstrat-Wein zu bestellen, dann wandte er sich an Kevin. »Er versucht dich ein wenig zu foppen. Etwas von diesem Gefühl ist das ganze Jahr hindurch spürbar, habe ich mir sagen lassen, aber eben nur etwas. Heute Nacht ist das was anderes, oder vielmehr morgen Nacht, und heute bekommen wir zu spüren, was überläuft. Was wir gegenwärtig empfinden, kommt ausschließlich beim Maidaladan auf.«
    Der Schankwirt brachte ihnen den Wein. Oben hörten sie eine Tür aufgehen, und einen Augenblick darauf beugte Coll sich über das Geländer. »Wer ist der nächste?« erkundigte er sich mit einem Grinsen.
    »Geh nur«, bot ihm Carde an. »Ich werde dir den Wein kaltstellen.«
    Kevin schüttelte den Kopf. »Ich werde aussetzen«, beschied er ihm, während Coll die Treppe heruntergepoltert kam.
    Carde hob die eine Augenbraue. »Eine zweite Aufforderung wird aber nicht ergehen«, machte er ihn aufmerksam. »So großzügig bin ich heute Abend nicht, da so wenige Frauen verfügbar sind.«
    Kevin lachte. »Amüsier dich«, wünschte er und hob das Glas, das Erron ihm eingeschenkt hatte.
    Coll ließ sich auf Cardes Platz gleiten. Er goss sich ein Glas Wein ein, leerte es mit einem Zug und fixierte dann Kevin mit einem überraschend klaren Blick. »Bist du wegen morgen beunruhigt?« fragte er leise, damit er außer an ihrem Tisch nicht zu hören war.
    »Ein wenig«, gab Kevin zu. Es war das Einfachste, was ihm einfiel, und gleich darauf wurde ihm klar, dass es ihm obendrein eine Ausrede ermöglichte. »Ehrlich gesagt«, murmelte er, »mehr als nur ein wenig. Ich glaube, ich bin heute Abend nicht in Feierstimmung.« Er stand auf. »Ja, ich denke, ich werde sogar für heute Schluss machen.«
    Errons Stimme war voller Verständnis. »Das ist gar kein übler Gedanke, Kevin. Morgen ist sowieso erst die Nacht der Nächte. Was wir im Augenblick empfinden, wird dann zehnmal stärker sein, und wenn du dann noch eine Wolfsjagd hinter dir hast, wirst du bereit sein, eine Priesterin oder auch drei in dein Bett zu zerren.«
    »Die lassen sich darauf ein?« fragte Kevin, einen Moment lang gefesselt.
    »Die einzige Nacht im Jahr«, sagte Erron. »Gehört mit zu den Riten des Liadon.« Er lächelte verschmitzt. »Das einzig Erfreuliche daran.«
    Kevin erwiderte das Lächeln. »Dann warte ich halt bis dahin. Wir sehen uns morgen früh.« Er klopfte Coll auf die Schulter, zog sich Mantel und Handschuhe an und trat durch die Tür hinaus in die bittere Kälte der Nacht.
    Es ist schlimm, dachte er, wenn man Freunde anlügen muss. Doch die wirkliche Lage war allzu schwierig, zu befremdlich, und obendrein war sie seine Privatsache. Sollten sie ruhig denken, er sei wegen der Jagd beunruhigt, das war allemal besser als die Wahrheit.
    Die Wahrheit bestand darin, dass er von dem Verlangen, das alle übrigen Männer aus ihrer Schar empfanden, gänzlich unberührt geblieben war. Ganz und gar. Lediglich den überall um ihn herum ablaufenden Gesprächen hatte er entnommen, dass etwas Ungewöhnliches vorging. Was das auch immer für eine künstliche Erotik sein mochte, die an diesem Ort mit der Sommersonnenwende verbunden war – in einem Ausmaß, dass selbst die Priesterinnen der Göttin aus dem Tempel hervorkamen, um zu lieben –, was da auch immer vor sich ging, es machte sich nicht die Mühe, ihn mit einzubeziehen.
    Der Wind war grauenhaft. Sogar noch schlimmer als damals, als er sich im Januar auf der Prärie aufgehalten hatte. Er drang wie eine Klinge durch seinen Mantel hindurch. Er würde nicht lange draußenbleiben können. Nichts und niemand konnte das. Wie, dachte Kevin, bekämpft man einen Feind, der so etwas fertig bringt? Er hatte um Jennifers willen Rache geschworen, daran erinnerte er sich wohl, und sein Mund verzog sich in bitterer Ironie. Was für eine Aufschneiderei war das doch gewesen. Zum einen gab es ja nicht einmal einen Krieg, in dem er hätte kämpfen können – Rakoth Maugrim zerschmetterte sie mit einem Hammer aus Wind und Eis. Zum anderen, und diese Wahrheit quälte ihn, seit sie aus Stonehenge hierhergekommen waren, zum anderen würde er selbst dann kaum zu etwas nutze sein, wenn sie es irgendwie schafften, den Winter zu beenden, und es zum Krieg kam. Die Erinnerung an sein

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