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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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daliegen und nahm ein Bild auf, das sich zurücksenden ließ. Sie musste es allein vollbringen, denn die Magier waren nicht mehr da. Mit allerletzter Kraft bediente sie sich des Feuers wie einst der Liebe, schleuderte die Vision zurück, unendlich weit, dem Heiligtum in Gwen Ystrat zu. Dann wurde es dunkel um sie.
    Sie war ein zerbrochenes Gefäß, ein Rohr, durch das der Wind hätte pfeifen können, wenn es einen Wind gegeben hätte. Sie war eine zweifache Seele ohne Gestalt. Der Ring war gänzlich erloschen. Sie hatte getan, was sie konnte.
    Doch jemand war bei ihr, nach wie vor singend.
    Wer? fragte sie, während um sie herum alles zu schwinden begann.
    Ruana, antwortete er. Rette uns, sendete er. Rette uns.
    Sie begriff. Und in dem Moment wusste sie, dass sie nicht aufgeben durfte. Noch gab es für sie keine Freigabe. An diesem Ort existierten keine Himmelsrichtungen, doch von der Stelle aus, wo ihr Körper sich befand, würde sein Gesang aus nordöstlicher Richtung kommen.
    Aus Khath Meigol, wo einst die Paraiko gelebt hatten.
    Wir leben, versicherte er. Noch leben wir. Rette uns.
    Im Ring war kein Feuer mehr. Nur der getragene Gesang leitete sie in der Finsternis, als sie den langen Aufstieg dorthin begann, wo noch ein Rest Licht geblieben war.
     
    Als der Baelrath aufflammte, schloss Ivor die Augen, sowohl vor dem Aufschrei der Seherin als auch vor dem gleißenden Licht. Doch sie waren aufgefordert worden, Zeugnis abzulegen, und darum zwang er sich einen Moment darauf wieder zum Hinsehen.
    Im schmerzlich grellen Licht des Kriegssteins war es schwer, etwas zu erkennen. Er konnte sie jedoch ausmachen, die junge Seherin und die anderen um sie herum, und er bemerkte die verbissene Anspannung auf den Gesichtern von Matt und Barak. Er nahm die ungeheure Anstrengung, das beinahe unerträgliche Bemühen wahr. Jaelle zitterte. Gereints Gesicht glich einer Totenmaske aus Eridu. Ivor bedauerte sie von ganzem Herzen, die sich in diesem lautlosen Kampf so weit vorwagten.
    Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, da hallte das Gewölbe auch schon von Stimmen wider, als Jaelle, Gereint und der hochgewachsene Barak beinahe gleichzeitig vor Verzweiflung und Qual laut aufschrien. Matt Sören schwieg noch einen Augenblick länger, während der Schweiß ihm über das zerfurchte Gesicht rann, dann schrie auch er auf, ein tiefer, herzzerreißender Laut, und fiel zu Boden. Als er mit Arthur und Shalhassan hinzueilte, um ihnen beizustehen, hörte Ivor Loren Silbermantel mit tonloser Stimme flüstern: »Zu weit. Es ist vorbei.«
    Ivor nahm den weinenden Barak in die Arme und führte ihn zu einer Bank, die in den Bogen der Wand eingelassen war. Dann kehrte er zurück und tat das gleiche für Gereint. Der Schamane zitterte wie das letzte Blatt eines Baums im Herbstwind. Ivor fürchtete um ihn.
    Aileron, der Großkönig, hatte sich nicht gerührt. Hatte den Blick nicht von Kim abgewandt. Immer noch leuchtete das Licht und immer noch hielt sie sich aufrecht. Ivor schaute ihr ins Gesicht, dann wandte er rasch den Blick ab: Ihr Mund war weit geöffnet zu einem stillen, endlosen Schrei. Sie sah aus, als würde sie bei lebendigem Leib verbrannt.
    Er kehrte zu Gereint zurück, dessen Atmung ein hilfloses Keuchen war und dessen runzliges Gesicht selbst im roten Licht grau wirkte. Und im selben Augenblick, als Ivor neben seinem Schamanen niederkniete, loderte dieses Licht von neuem auf, so heftig, dass das vorhergegangene Glühen dagegen schwach erschien. Um sie herum pulsierte Macht wie eine ungezähmte Geistererscheinung. Es kam Ivor vor, als bebe der ganze Tempel, und er hörte Aileron rufen:
    »Da ist ein Bild! Seht!«
    Ivor versuchte es. Er drehte sich noch rechtzeitig um, den Sturz der Seherin zu bemerken und dazu ein verschwommenes Etwas neben ihr in der Luft, doch das Licht war zu rot, zu grell. Er wurde davon geblendet, versengt. Er konnte nichts erkennen.
    Und dann wurde es dunkel.
    Zumindest schien es so. Es gab immer noch die Fackeln an den Wänden, die Kerzen, die auf dem Altar brannten, doch nach der wahnwitzigen Helligkeit des Baelrath, die immer noch vor seinem inneren Auge flammte, meinte Ivor, von Dunkelheit umgeben zu sein. Ein Gefühl des Versagens überkam ihn. Etwas war geschehen; irgendwie hatte Kim es selbst ohne die Magier geschafft, ein Bild zu übermitteln, und nun lag sie am Boden, während der Großkönig über sie gebeugt dastand, und Ivor hatte keine Ahnung, was sie ihnen mit dem augenscheinlich letzten

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