Das weiße Grab
muss. Insbesondere für dich.«
»Ja, mehr als unangenehm.«
»Fehler passieren. Wir sind nur Menschen, keine Götter.«
»Sie hat mich als Hund bezeichnet, nicht mal als
Köter.
«
»Jetzt kann ich dir nicht folgen, und das macht mir Angst, Konrad. Arne oder ich können gerne übernehmen, wenn du das nicht schaffst.«
»Nein, nein, ich versuche das selber. Das ist bestimmt am besten so.«
»Mag sein.«
»In Wahrheit habe ich Angst davor, was geschehen könnte, wenn ich das Handtuch werfe.«
»Dein Leben ist kein Boxkampf, Konrad, du musst vorsichtig sein. Es gibt Dinge, die kann man nicht allein lösen, Dinge, für die man Hilfe braucht, professionelle Hilfe.«
»Das weiß ich doch. Sag mal, was machst du heute Nachmittag?«
»Kommt darauf an, was du mir aufträgst.«
»Machst du mit mir einen Ausflug? Besuchen wir eine Frau, deren Mann 1998 Selbstmord begangen hat?«
Die Comtesse antwortete nicht, und Konrad Simonsen setzte sie nicht unter Druck.
Nach einer Weile sagte sie: »Du willst ihr sagen, dass ihr euch geirrt habt?«
»Dass
ich
mich geirrt habe.«
»Dass du und viele andere sich geirrt haben?«
»Sie hat die ganze Zeit über an ihren Mann geglaubt und nicht ein einziges Mal an seiner Unschuld gezweifelt. Sie hat mich damals als Hund beschimpft, etwas Schlimmeres ist nicht über ihre Lippen gekommen, obgleich ich ihr Leben zerstört habe, die letzten Reste ihres Lebens, nachdem ihre Tochter geschändet und erstickt worden war.«
»Hältst du das für eine gute Idee?«
»Ich habe ziemlich viel darüber nachgedacht, und ja, ich denke, es ist richtig. Außerdem ist das wohl das mindeste, was ich tun kann, schließlich war ich schuld an dem Justizmord an ihrem Mann.«
»Er ist nie verurteilt worden.«
»Das wäre er aber, die Beweise waren erdrückend.«
»Er wurde es aber nicht.«
»Selbstmord ist auch nicht viel besser. Das muss eine unglaubliche Qual für ihn gewesen sein.«
»Ich komme mit dir. Hast du schon einen Termin gemacht?«
»Ja, wir sollen um vier Uhr in Haslev sein.«
»Aber wenn das nicht so läuft, wie du dir das vorstellst, schaff ich dich da weg – auch gegen deinen Willen. Nur damit du es weißt. Und glaub mir, ich krieg dich da weg, wenn es darauf ankommt.«
Er begnügte sich damit, leicht mit den Schultern zu zucken, und fragte: »Würdest du mir noch einen Gefallen tun? Ich habe nachher noch eine Verabredung in Høje Taastrup, mit … mit einer Frau. Dürfte ich dich bitten, sie anzurufen und den Termin abzusagen? Dann kann ich mich noch ein bisschen ausruhen.«
Sie nickte entgegenkommend. Er schrieb die Telefonnummer auf einen Zettel und reichte ihn ihr.
»Danke, dann lass uns in fünf Minuten nach unten gehen.«
Er ging, und die Comtesse rief an. Sie wusste genau, um wen es ging. Konrad Simonsens Hang, seine Fälle hin und wieder mit einer Frau in Høje Taastrup zu besprechen, die als Hellseherin galt, war eines der am schlechtesten bewahrten Geheimnisse des Morddezernats, wenn auch alle Mitarbeiter klug genug waren, so zu tun, als wüssten sie nichts davon. Die Comtesse selbst war sich nicht sicher, was sie von den Fähigkeiten dieser Frau halten sollte, weshalb der Verlauf dieses Gesprächs sie beunruhigte und verwirrte:
Halten Sie an Steen Hansen fest, Baronesse, lassen Sie ihn nicht gehen, was auch immer passiert. Hängen Sie sich an ihn wie eine Klette, Sie dürfen sich nicht abschütteln lassen. Es geht um Leben und Tod. Was auch passiert, Baronesse, was auch passiert, es gibt nichts Wichtigeres als das.
Die eindringliche Aufforderung war zusammenhanglos erfolgt, ohne jede Erklärung. Wie ein Notruf, zwei-, drei-, fünfmal. Sie wusste nicht, wie oft, und erinnerte sich nur an die trockene, etwas kratzige Stimme, die noch in ihrem Kopf nachhallte, nachdem sie ihr etwas verstört versprochen hatte, zu tun, um was sie sie gebeten hatte. Allein die Art der Anrede –
Baronesse
– war ihr im höchsten Maße unangenehm gewesen. Nachdenklich starrte sie eine Weile vor sich hin, bis sie zwei Entschlüsse fasste. Sie wollte Konrad Simonsen nichts von diesem Gespräch erzählen, er hatte so schon genug am Hals, und sich auch selbst noch ein bisschen frisch machen.
Auf dem Weg über den Flur zum Vortragssaal ging alles plötzlich ganz schnell. Vielleicht waren sie doch zu früh aufgebrochen, denn sie hatten noch so viel zu besprechen, dass es jetzt auf jede Sekunde ankam. Konrad Simonsen sagte vorsichtig: »Ich habe wirklich Angst, dass mir die Tränen kommen,
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