Das weiße Grab
wiederzugeben. Im Übrigen bittet er alle um Entschuldigung, dass er in der hohen Diplomatie nicht so geschult ist.«
Der Mann aus dem Außenministerium erhob sich würdevoll und verließ in angespanntem Schweigen den Raum, ohne sich von Albert Einstein, der ihm die Zunge rausstreckte, beeinflussen zu lassen. Malte Brorup hatte – geistesgegenwärtig, wie er war – dieses Bild aus dem Hut gezaubert und auf den Bildschirm projiziert. Gleich darauf ging auch die Sekretärin mit dem knappen Kommentar, dass ihre Anwesenheit jetzt ja nicht mehr erforderlich sei.
Als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, sprach Arne Pedersen aus, was alle dachten: »Mann, war das klasse! Vielleicht können wir jetzt sogar arbeiten. Um das Nachspiel kümmern wir uns dann später, denn dass wir damit rechnen müssen, ist wohl klar. Dieser Gnom ist schließlich nicht irgendwer. Malte, dir drohen mindestens fünf Jahre Deportation.«
Konrad Simonsen, der während der ganzen Zeit nichts gesagt hatte, erwachte plötzlich und zeigte Tatendrang.
»Nutzen wir lieber die Zeit. Malte, zeig die ersten Bilder. Ergreift übrigens alle das Wort, wenn ihr etwas Vernünftiges zu sagen habt. Jetzt brauchen wir das Ganze ja nicht mehr so formell zu machen.«
Die Bilder der beiden ermordeten Frauen dämpften die neu gewonnene Munterkeit der Anwesenden schnell. Die Fotografien waren genau ausgewählt worden, so dass Kamerawinkel und Abstand möglichst übereinstimmten, was die Ähnlichkeit der beiden Fälle deutlich werden ließ. Konrad Simonsen ergänzte: »Die Frau auf dem linken Foto ist Maryann Nygaard. Sie wurde am 13 . September 1983 in der DYE - 5 -Station auf dem grönländischen Inlandeis ermordet und vor gut einer Woche unter den euch allen bekannten Umständen gefunden. Die Frau rechts ist Catherine Thomsen. Sie wurde am 5 . April 1997 am Nordstrand vor Stevns Klint ermordet. Ihre Leiche wurde gut acht Monate später von zwei Hobbyarchäologen entdeckt, die mit ihrem Metalldetektor ihr Armband gefunden hatten. Es gibt eine lange Liste von Übereinstimmungen zwischen den beiden Morden, so dass ich zu der Auffassung gekommen bin, dass wir es ohne Zweifel mit demselben Täter zu tun haben. Trotzdem möchte ich euch bitten, mit offenen Ohren und einer gesunden Portion Skepsis zuzuhören. Jeder und jede von euch weiß, wie fatal es wäre, sollten wir zu falschen Schlüssen kommen.«
Alle Anwesenden waren sich einig.
Konrad Simonsen fuhr fort: »Die Hände beider Frauen wurden vor ihrem Tod mit Klebeband über ihren Knien an den Schenkeln befestigt. Auch die Knöchel wurden mit Klebeband gefesselt. Beide Frauen trugen nur Slip und Unterhemd. Wie ihr sehen könnt, sind die Brüste in beiden Fällen entblößt oder wenigstens teilweise entblößt, da ihre Blusen vorne zerrissen wurden. Wir wissen, dass Catherine Thomsen einen BH trug, der muss also entfernt worden sein. Entsprechende Informationen haben wir über Maryann Nygaard zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Die Nägel beider Frauen wurden höchstwahrscheinlich vom Täter geschnitten. Beide sind unmittelbar nach ihrem Tod beerdigt worden – Maryann Nygaard im Eis und Catherine Thomsen im Kies, und zwar so dicht am Wasser, dass sie regelmäßig überspült und so einigermaßen konserviert wurde. Beiden Frauen wurden vor ihrem Tod die Lippen knallrot angemalt, und in den Mundhöhlen und Kehlen beider Opfer sowie an ihren Schenkeln fanden sich Textilfasern, vermutlich von einem Lappen, der ihnen in den Mund gepresst worden ist. Bei Catherine Thomsen können wir an einigen dieser Fasern definitiv mikroskopische Spuren von Lippenstift nachweisen, woraus die Kriminaltechniker geschlossen haben, dass der Täter ihr die Lippen geschminkt haben muss, während sie den Lappen im Mund hatte. Ob der Mörder auch bei Maryann Nygaard so vorgegangen ist, wissen wir erst nach dem definitiven Obduktionsbericht, und den kriegen wir erst in ein paar Tagen. Schließlich wurden beide Frauen mit einer durchsichtigen Plastiktüte erstickt, die er ihnen über den Kopf gestülpt und am Hals befestigt hat. Der Lappen muss vorher aus ihrem Mund entfernt worden sein.«
Konrad Simonsen machte eine kurze Pause. Keiner der Anwesenden sagte etwas, die Stimmung war gedrückt. Malte Brorup, der die Argumente seines Chefs mit den entsprechenden Nahaufnahmen illustriert hatte, zeigte wieder die ersten beiden Fotos. Dann ging es weiter: »Dazu kommt eine Reihe von Übereinstimmungen, die zufällig sein können. Urteilt
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