Das weiße Grab
schien wirklich nicht die Kraft zu haben, weiterzumachen. Man musste kein Arzt sein, um zu erkennen, dass er am Rande eines Nervenzusammenbruchs stand.
Pauline Berg hätte vor Wut heulen können, als sie die Zelle verließ.
Draußen hörte sie abwesend, wie Asger Graa sagte: »Kriminalkommissarin Pauline Berg verlässt den Raum. Jetzt hören Sie doch, guter Mann, das Spiel ist aus. Sagen Sie uns bitte, wo Sie die Tote begraben haben.«
Erst ein paar Sekunden später wurde ihr bewusst, was geschehen war. Es lief ihr eiskalt über den Rücken, während sie überraschend nüchtern konstatierte, dass ihr Projekt auf die denkbar katastrophalste Weise gescheitert war.
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42
S onntagmorgen um sechs Uhr wurde Andreas Falkenborg aus der Arrestzelle des Polizeipräsidiums entlassen. Er wurde durch einen Hinterausgang nach draußen gebracht, so dass er nicht den wartenden Reportern in die Arme lief. Auf der Hambrosgade war er dann wieder ein freier Mann.
Konrad Simonsen war gekommen, um die Begebenheit, die eigentlich keine Begebenheit war, zu überwachen.
Er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, zu Hause in seinem Bett zu liegen, während sein Serienmörder auf freien Fuß gesetzt wurde. Danach ging er in sein Büro, um die Stapel der liegengebliebenen Arbeit wenigstens teilweise abzuarbeiten.
Um neun Uhr kam auch Arne Pedersen zur Arbeit, und kurz darauf tauchte Poul Troulsen im Präsidium auf.
»Warum machst du denn kein Wochenende?«, fragte Arne Pedersen Poul Troulsen.
Der ältere Mann zuckte mit den Schultern.
»Ich dachte mir, dass ihr hier seid, und irgendwie denke ich, dass ich euch das schuldig bin. Mittwoch, Donnerstag und Freitag war ich ja nicht gerade ein Aktivposten.«
Arne Pedersen zog ihn auf: »Kein Aktivposten? Das Problem war wohl eher, dass du am Mittwoch zu aktiv warst.«
»Du weißt schon, wie ich das meine …«
Er sah zu seinem Chef.
»… außerdem finde ich es noch immer ziemlich ungerecht, dass sie jetzt dir die Schuld geben.«
Konrad Simonsen schob die Unterlippe vor.
»Ja, die Welt ist so grausam, so schrecklich, schrecklich grausam …«
Poul Troulsen schüttelte den Kopf.
»Ich fange wirklich an, mich auf meine Pensionierung zu freuen.«
»Hm, darüber müssen wir irgendwann noch mal reden, Poul. Es gibt da so ein paar Regelungen, wenn du also länger bleiben willst …«
»Vergiss es.«
»Na gut, reden wir später darüber. Wie weit sind wir mit dem finnischen Mädchen, Arne?«
»Wir haben ihre Daten bekommen, aber das weißt du ja, ansonsten ist seit Freitag nicht gerade viel passiert. Wir können inzwischen aber den Zeitraum ihres Verschwindens eingrenzen. Irgendwann zwischen dem 17 . April 1992 und dem 3 . Mai 1992 . Vermutlich am Bahnhof Hässleholm. Andreas Falkenborgs Hof lag ein paar Kilometer südwestlich am Ufer des Sees Finjasøen, aber Elizabeth Juutilainen und er wurden nie zusammen gesehen. Die Schweden arbeiten aber an dem Fall.«
»Wie sich das anhört, rechnest du nicht damit, dass wir da weiterkommen?«
»Das ist schwierig. Die Zeugen, die ausgegraben werden konnten, sind nicht gerade Vorzeigebürger, und die meisten von denen sagen nichts.«
Poul Troulsen bemerkte: »Eigentlich ist das doch paradox: Die eine Form der Kriminalität braucht doch nicht – wenn ich das so sagen darf – die andere zu beeinträchtigen. Ich meine, Drogenabhängige sollten ein ebenso großes Interesse daran haben, dass Serienmörder gefasst und bestraft werden wie alle anderen Menschen.«
»Theoretisch hast du recht«, sagte Konrad Simonsen. »Aber so denken die nicht. Oder nur höchst selten …«
Arne Pedersen sprang von seinem Stuhl auf.
»Sag das noch mal, Poul. Sofort, das ist wichtig.«
»Das mit den Drogenabhängigen?«
»Ja, verdammt, was hast du gerade gesagt?«
»Dass sie ebenso interessiert wie alle anderen daran sein sollten, dass wir die Serienmörder aus dem Verkehr ziehen.«
»Nein, nicht das, das andere.«
Konrad Simonsen rezitierte ruhig:
»Eigentlich ist das doch paradox: Die eine Form der Kriminalität braucht doch nicht – wenn ich das so sagen darf – die andere zu beeinträchtigen. Ich meine …«
Weiter kam er nicht.
»Ja, genau das hat sie gesagt, genau das.«
»Wer hat was gesagt, Arne?«
»Die neue Klassenlehrerin beim Elternabend. Sie sagte, dass sie immer leise mit den Kindern rede, weil sie eben nicht der Meinung sei, dass man Lärm mit noch mehr Lärm übertönen solle. Jetzt macht das auch Sinn. Klar, Mann, das ist
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