Das weiße Grab
»Daran arbeiten wir ja.«
Sie umarmte ihn zum Abschied liebevoll und dachte, dass das Leben wirklich voller Kompromisse war.
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Ü ber Asger Graa kursierten zahlreiche Gerüchte, das eine fantastischer als das andere, doch den meisten war gemeinsam, dass sie mit der Wahrheit nichts zu tun hatten. Richtig war aber, dass der Mann mehr als gerne im Dezernat für Gewaltverbrechen arbeiten würde und deshalb regelmäßig Bewerbungen an Konrad Simonsen schickte, der seine Fähigkeiten aber nicht nutzen wollte. Ferner traf es zu, dass Asger Graa kein sonderlich angenehmer Zeitgenosse war, was primär mit seinem besserwisserischen, kantigen Wesen zu tun hatte. Eine Wesenseigenschaft, die wiederum die Kollegen, die ihn nicht kannten, wild ausschmückten. Bevor Pauline Berg in Simonsens Dezernat gekommen war, hatte sie bei einigen Fällen der Sitte sporadisch mit Graa zusammengearbeitet und war damals zu dem Schluss gekommen, dass er umgänglicher war, als sein Ruf es erwarten ließ. Er erinnerte sich gut an sie, als Pauline anrief, und war überdies sofort bereit, sie bei ihrem Plan zu unterstützen.
Sie trafen sich wie vereinbart am Sonntagmorgen draußen vor dem Präsidium. Er wartete auf sie, spähte aber in die falsche Richtung, so dass sie genug Zeit hatte, ihn zu begutachten. Die Uniform kleidete ihn gut. Er war groß, was von Vorteil sein konnte, wenn Andreas Falkenborg wider Erwarten Amok laufen sollte. Seine ganze Erscheinung wirkte äußerst repräsentativ, er war das Abbild eines Polizeibeamten und strahlte unverhohlene Autorität aus.
Pauline Berg sah hingegen gar nicht so aus, wie man sie gewohnt war. Am Tag zuvor hatte sie sich ihre Haare nach einer dürftigen, selbst angefertigten Zeichnung schneiden und schwarz färben lassen und sich bei einem Optiker ein paar braune Kontaktlinsen gekauft, die sich als angenehm leicht zu tragen erwiesen.
Pauline Berg erwiderte seinen formellen Handschlag und instruierte ihren neuen Partner, wie das Gespräch mit Andreas Falkenborg ablaufen sollte. Danach nahm sie eine ganze Reihe von Lobeshymnen darüber entgegen, dass sie ihm, Asger Graa, diese Chance ermöglichte. Ihr neues Aussehen kommentierte er mit keinem Wort.
»Hast du das Diktiergerät dabei?«, fragte sie.
»Ja, und es funktioniert auch, ich habe es mehrfach überprüft.«
»Wenn du es anmachst, musst du die einleitenden Phrasen auslassen. Du weißt schon, dieses Geschwafel über Uhrzeit, Anwesende und so weiter.«
»Ja, aber das ist dann gegen die Vorschrift.«
»Ich will nicht, dass er meinen Namen kennt.«
»Kann ich nicht meinen nennen und deinen einfach weglassen?«
»Nein, und ich will auch nicht darüber diskutieren. Glaub mir, bei uns im Dezernat wissen wir schon, was wir tun.«
»Ja, natürlich, so habe ich das nicht gemeint.«
»Schön, dann sind wir uns ja einig. Des Weiteren möchte ich dich darum bitten, nichts zu sagen. Ich, und nur ich, rede mit ihm. Es kann sein, dass er Angst bekommt, wenn er mich sieht, aber darum darfst du dich nicht kümmern. Du unternimmst nur etwas, wenn er mich angreift, und auch dann hältst du ihn nur auf Distanz, damit wir nach draußen kommen können. Es darf ihm auf keinen Fall etwas zustoßen, hast du verstanden?«
»Ja, ja, jedes Wort. Ich bin also in erster Linie dazu da, dich zu beschützen?«
»Ja, so könnte man es ausdrücken, aber denk daran, dass ich ziemlich gut auf mich selbst aufpassen kann. Er ist zwar ein Mann, aber ich bin nur halb so alt und in Topform. Außerdem ist es höchst unwahrscheinlich, dass er handgreiflich wird.«
»Und sonst gehe ich dazwischen wie ein Blitz, ohne ihm zu schaden.«
»Sehr gut, genau so habe ich mir das vorgestellt. Man kann gut mit dir zusammenarbeiten, ich werde Konrad darüber unterrichten.«
»Konrad? Du meinst Kriminalhauptkommissar Simonsen, den Dezernatsleiter, nicht wahr?«
»Ja, genau, wir nennen ihn nur Konrad.«
Sie hatte das gesagt, um ihn zu beeindrucken, und nicht mit seiner Reaktion gerechnet.
»Er weiß nichts davon, oder?«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, dass Kriminalhauptkommissar Konrad Simonsen nichts davon weiß, dass wir Andreas Falkenborg noch einmal verhören. Stimmt das?«
Pauline Berg dachte, dass sie den Mann unterschätzt hatte.
»Es ist leichter, um Verzeihung zu bitten, als eine Erlaubnis einzuholen«, sagte sie vorsichtig.
»Und dein neues Aussehen? Willst du den Mörder damit unter Druck setzen? Du siehst aus wie seine Opfer.«
Es war ein Zwischending
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