Das weiße Grab
zwischen einer Frage und einer Feststellung.
»Wenn das Verhör gut läuft, hast du etwas, das du auch noch deinen Enkeln erzählen kannst, und wenn es nicht läuft, gehen wir wieder.
No harm done,
wie man so schön sagt.«
»Was ist mit dem Anwalt des Mannes? Weiß er, dass wir kommen?«
»Es ist eine Anwältin, und nein, sie weiß es nicht. Aber sie weiß, dass er vier junge Frauen umgebracht hat und dass er morgen früh entlassen wird, wenn wir nicht etwas unternehmen.«
Das Argument machte Eindruck, und sie schlug schnell noch weiter in die gleiche Kerbe: »Es geht ja nicht darum, ihn windelweich zu prügeln. Wir reden bloß mit ihm. Das Ganze wird kaum länger als zehn Minuten dauern, aber vielleicht können wir mit diesen zehn Minuten einem jungen Mädchen das Leben retten. Wer weiß?«
Asger Graa wog das Für und Wider ab.
»Was soll er gestehen?«
»Er soll mir sagen, wo er eines seiner Opfer vergraben hat. Die Frau heißt Annie Lindberg Hansson, sie wurde 1990 ermordet.«
»Okay, aber wenn du nicht weiterkommst, würde ich es auch gerne versuchen. Ich mache nicht selten Eindruck auf diese Verbrecher.«
»Das klingt fast so, als wolltest du mich erpressen?«
»So war das nicht gemeint, aber wenn die Sache schiefläuft und an die Öffentlichkeit kommt, kriegst ja nicht nur du Probleme. Deshalb fände ich es nur gerecht, wenn auch ich eine Chance bekäme.«
Pauline Berg tat so, als würde sie nachdenken.
»Okay, dann haben wir eine Abmachung. Also, gehen wir.«
Der Weg durch das weitläufige Präsidium war aufregender, als Pauline ihn sich vorgestellt hatte. Auch wenn die Arrestzellen weit von den Räumlichkeiten des Dezernats für Gewaltverbrechen entfernt waren, fürchtete sie, auf jemanden zu stoßen, den sie kannte.
Am schlimmsten wäre natürlich eine Begegnung mit Arne Pedersen oder Konrad Simonsen, die sich bestimmt irgendwo in dem Komplex aufhielten. Aus diesem Grund hatte sie auch eine alternative Route eingeschlagen, die sich als richtig erweisen sollte, denn der Einzige, der ihnen begegnete, war ein Polizeischüler, den sie nicht kannten und der keine Notiz von ihnen nahm.
»Ich habe diesen Zellentrakt nie gesehen. Ist er groß?«, fragte Asger Graa.
»Insgesamt ist Platz für fünfundzwanzig Leute, aber es sind alle Zellen besetzt.«
»Wer sitzt da ein? Das sollen doch die Allerschlimmsten sein.«
»Stimmt.«
»Ich kann gut verstehen, dass ihr ihn dort unten weggesperrt habt.«
»So ist das aber nicht. Der ist bloß in solch einer Zelle untergebracht, weil er morgen entlassen wird. Außer wir haben Erfolg. Es lohnte sich nicht, ihn zu verlegen. Er ist ja nicht wirklich gewalttätig, im Gegenteil. Man hat ihn zu seinem eigenen Schutz von den anderen Gefangenen isoliert.«
»Okay, verstanden. Sag mal, wie kommen wir da eigentlich rein?«
»Man macht uns die Tür auf, was hast du denn gedacht?«
»Na ja, ich meine, wie hast du das geregelt, ohne deinen Chef zu informieren?«
»Es wird keine Probleme geben, davor brauchst du keine Angst zu haben.«
»Ich habe keine Angst, ich dachte nur …«
»Hör einfach damit auf.«
Pauline Berg sollte recht behalten. Sie wurden ohne Probleme in den Zellentrakt gelassen. Ein älterer Beamter, der die Stunden bis zu seiner Pensionierung zu zählen schien, geleitete sie schlurfend zu Andreas Falkenborgs Zelle und schloss sie auf.
Der Raum, den sie betraten, war klein. Zehn spartanisch möblierte Quadratmeter mit einer Pritsche, einem Schreibtisch samt Stuhl, einem Schrank und einem kleinen Kühlschrank, alles an Boden oder Wand fixiert. Durch das Fenster in der rückwärtigen Wand fiel blasses Licht in die Zelle. Andreas Falkenborg stand von der Pritsche auf, als die beiden den Raum betraten. Er hatte ein Buch gelesen, einen Reisebericht über Indien, bemerkte Pauline. Auf den ersten Blick schien Asger Graa aufgrund seiner Größe und seiner Uniform die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu ziehen, und sie glaubte einen Moment lang, dass er gar nicht auf ihr Aussehen reagieren würde, doch als sein Blick auf sie fiel, erstarrte er und blieb mit offenem Mund stehen, als wäre er wie die Möbel festgenagelt. Ein Speichelfaden hing ihm aus dem Mund.
Asger Graa nutzte die Gelegenheit, um sein Diktiergerät auf den Schreibtisch zu stellen. Dann fragte er in einem formellen Tonfall: »Andreas Falkenborg, haben Sie etwas dagegen, sich noch einmal ein paar Minuten mit uns zu unterhalten?«
Der Beamte bekam keine Antwort und fragte noch einmal,
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