Das weisse Horn
enttäuschte
ihn nicht.
Mühelos erreichte er den schmalen Vorsprung und bezwang
auch den. Hier verließ ihn der Wind plötzlich, da er von
einem Nachbargipfel aufgehalten wurde. Und von neuem
begann der ausweglose tödliche Kampf. Ussolzew rutschte
weiter hinunter und versuchte verzweifelt, sich irgendwo
zu halten. Mit letzter Kraft konnte er sich wieder fangen
und begann erneut zu gleiten. Sein Körper wurde zer-
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schunden, und seine Fingernägel rissen ab. Die Umwelt
verschwand ganz aus seinem Bewußtsein, und es blieb nur
die Empfindung, sich mit aller Macht an jeden Vorsprung
der Steinwand zu klammern und unter sich krampfhaft die
wegrutschenden Stützen zu suchen, sich an den Stein zu
pressen und gegen die ihn erbarmungslos hinabziehende
Kraft zu kämpfen. Niemajs mehr konnte sich Ussolzew an
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das Ende seines Abstiegs vom Ak-Mjungus erinnern. Im
Gedächtnis blieb nur der allerletzte Augenblick. Er hatte
keine Kraft und keinen Willen mehr. Seine zerschundenen
Hände lösten sich wie von selbst, er berührte mit seinen
Füßen einen scharfen Vorsprung, prallte zurück, fiel auf
den Rücken und erreichte den Talgrund hinter dem Weißen
Hörn, als sich schon die Dunkelheit auf ihn senkte.
Als er die Augen wieder aufschlug, leuchtete über ihm der
goldene Morgenhimmel. In geringer Höhe kreiste e'in
großer Geier, dessen Federn an den ausgebreiteten Flü-
geln deutlich zu erkennen waren. Ussolzew sah lange auf
den Vogel, bis er merkte, daß sich der Geier diesmal direkt
bei ihm niederließ. Nein! Er war nicht umgekommen! Er
hatte sogar das Weiße Hörn besiegt, und der Geier sollte
ihn nicht haben!
Ussolzew versuchte, sich aufzusetzen. Irgend etwas hin-
derte ihn daran. Da fühlte er das am Rücken angebundene
Schwert. Er befreite sich,davon und richtete sich auf.
Schwindel erfaßte ihn. Mit Schrecken sah Ussolzew seine
vom Blut schwarzen Hände und Füße, seine schmutzige,
zerfetzte Kleidung. Er machte einige Bewegungen und
überzeugte sich, daß seine Knochen heil waren. Ohne auf
den heftigen Schmerz in seinen Füßen zu achten, stand er
auf. Er hörte das grüßende Wiehern seines Pferdes und
verlor wieder das Bewußtsein.
Kaltes Wasser floß ihm über seine Stirn und in den Mund.
Er schluckte unaufhörlich, um seinen unersättlichen Durst
zu stillen. Dabei öffnete er die Augen und sah wieder den
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blauen Himmel über sich, der jetzt Gluthitze ausatmete,
und das erschreckte Gesicht des alten Uiguren. Mühsam
erhob sich der Geologe auf die Knie. Der Uigure wich mit
ehrerbietiger Furcht zurück.
„Warum fürchtest du dich, Arslan? Ich lebe!"
„Wo warst du, Chef?" fragte Arslan.
„Dort!" Ussolzew hob die Hand zum Himmel.
über dem Tal ragte schwarz die Schattenseite des Ak-
Mjungus in die Höhe.
„Hier, sieh!" Er streckte dem Uiguren das Schwert mit dem
goldenen Griff entgegen. Die Hälfte der Klinge war beim *
Abstieg abgebrochen. Unter der rissig gewordenen brau-
nen Umhüllung blitzte der kostbare blaue Stahl auf, der
Stahl der legendären persischen Waffenschmiede.
Der Alte sank auf die Knie, ohne das Schwert zu berühren.
„Was ist denn? Nimm! Sieh doch!" wiederholte Ussolzew.
„Nein!" der Uigure schüttelte den Kopf. „Kein Mensch darf
ein solches Schwert nehmen. Nur ein Batur wie du .. .*
Zwei große, kugelförmige Karagatsche, die fächerartig aus
einem einzigen Wurzelstamm emporwuchsen, standen
am Rand der Siedlung. Hinter ihnen erhob sich, von
blauem Dunst überzogen, der Wall des Ketmen-Gebirges.
Ussolzews Paßgänger ließ den letzten mit Wermut be-
wachsenen Hügel hinter sich. Ein schmaler Steppenpfad
mündete in den weichen Staub eines ausgefahrenen Weges.
Der Weg bog am Rande grüner Gärten nach links ab und
mündete in einen anderen, der nach Süden führte, über
diesem erhob sich eine gelbe Staubwolke — ein mit einer
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Eastmatte bedeckter Wagen kam von Podgorny den Weg
entlang. Der Reiter, der am Wegrand ritt, spornte plötzlich
sein Pferd und kam direkt auf Ussolzew zu. Ussolzew
straffte die Zügel.
Wera Borissowna kam ihm entgegen!
„Ich habe Sie schon von weitem erkannt!" Sie blickte ihn
aufmerksam an. „Wohin reiten Sie?"
„Ich reite zur Verwaltung. Ich muß sofort eine .schwere
Erforschung" des Ak-Mjungus organisieren."
Ussolzew blickte ihr zum ersten Mal ruhig und klar in die
Augen.
„Ich habe festgestellt, daß ich Sie ganz und gar nicht
kenne", sagte Wera Borissowna leise, wobei
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