Das weisse Horn
und treu auf mich gewartet!"
Ein leichtes Lächeln flog über das finstere Antlitz des
Khans, als er sagte:
„Edler Krieger, sei mein Gast! Bleibe zum Festmahl und
nimm einen Ehrenplatz ein. Abends wird man dich zu mir
führen, und es erfüllt sich, was Allah vorgezeichnet hat."
Der stolze Krieger nahm die Einladung an. Die Fröhlichkeit
der Gäste stieg. Am Schluß des Mahles kamen die Sänger.
Nach dem Lieblingslied des Khans vom Bergadler erklan-
gen Lieder, die Seidjurusch, die Lieblingsfrau des Khans,
priesen. Der Khan blickte verstohlen auf den Fremdling
und sah, wie sich dessen Antlitz immer mehr verdüsterte.
Als der alte Sänger — der Stolz seines Volkes — davon
sang, wie sehr Seidjurusch ihren Gebieter liebt, sprang der
fremde Krieger auf und schrie den Alten an:
„Schweig, alter Lügner! Wie kannst du es wagen, sie zu
verleumden, der du nicht würdig bist, zu ihren Füßen zu
kriechen!"
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Ein unwilliges Gemurmel erhob sich unter den Gästen.
Einige der Ältesten traten für den beleidigten Sänger ein.
Die heißblütigen Jünglinge empörte der Hochmut des
Fremden. Zwei Dshigiten* warfen sich wütend auf ihn. Mit
starker, erbarmungsloser Faust schleuderte er die An-
greifer zurück, und auf dem Festmahl des Khans blitzten
die Schwerter. Der Fremde sprang mit einem riesigen
Satz zu seinen Waffen, ergriff den Schild und die lange
Streitaxt und erwartete mit dem Rücken zur Wand die
Schar seiner Feinde, die von ihm abprallte wie Wellen
von einem Stein. Doch sie fluteten zurück und warfen sich
aufs neue auf ihn. Zwei, drei, fünf Männer fielen blutüber-
strömt zu Boden, aber der Krieger-blieb unverletzt. Blitz-
schnell hieb er mit seiner Axt um sich und schlug die besten
Dshigiten nieder. Immer drohender wurde das Antlitz des
Kriegers, immer schrecklicher seine Axtschläge. Der Khan
brachte durch gebieterischen Ruf die Angreifer zum Stehen.
Widerwillig zog sich die Schar zurück und senkte die
Schwerter. Auch der Fremdling ließ seine Axt ruhen und
stand vor seinen Feinden, unbeweglich und furchtbar.
»Welch frecher Geist hat soviel Blut vergossen? Was willst
du?" fragte zornig der Khan.
„Die Wahrheit", antwortete der Krieger.
„Die Wahrheit? Nun gut! Wisse, ich, der noch nie eine
Lüge aussprach, sage dir: Alles, was die Sänger sagten, ist
reine Wahrheit!"
Der Fremdling fuhr zusammen, ließ Schild und Axt fallen,
und sein Gesicht sah plötzlich alt und gequält aus.
* Krieger, Gefolgsleute,
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„Was nun? Bittest du immer noch um sie?" fragte der Khan.
Die Augen des Kriegers blitzten und er reckte seine stolze
Gestalt.
„Ja, Khan", war die feste Antwort. .
Ein grausames Lächeln entblößte die Zähne des Herrschers.
„Gut! Ich gebe sie dir zurück. Doch du wirst einen hohen
Preis für sie zählen müssen!"
„Ich bin bereit!" antwortete der Krieger furchtlos.
Der Khan dachte nach.
„Jetzt ist das Jahr des Stieres*", wandte er sich an seine
Gäste. „Entsinnt ihr euch der Weissagung, die über dem
Eingang des alten Grabmals steht, in der Nähe des Ak-
Mjungus? ,Wer im Jahr des Stieres sein Schwert auf das
Horn des steinernen Stieres legt, wird sein Geschlecht
durch tausend Jahre erhalten!' Einige Tapfere sind bei dem
Versuch, diese Aufgabe zu erfüllen, abgestürzt, und der
Ak-Mjungus blieb unbezwingbar. Das ist der Preis, Tapfe-
rer", sagte der Khan zu dem unbeweglich lauschenden
Krieger. „Besteige den Ak-Mjungus, lege mein goldenes
Schwert auf seinen Gipfel, erfülle die alte Weissagung,
und dann — mein Wort gilt! — erhältst du das Weib."
Freude und Angst ergriff die Anwesenden. Der Befehl des
Khans klang wie ein Todesurteil.
Der Fremdling zitterte nicht. Sein strenges Antlitz überflog
ein stolzes Lächeln.
„Ich verstehe dich, Khan, und werde deinen Willen er-
* Der moslemitische Sonnenkalender hat einen zwölfjährigen Zyklus, in dem jedes Jahr nach einem Tier benannt wird. Das erste Jahr ist das Jahr der Maus, das zweite das des Stieres, das dritte das Jahr des Panthers usw.
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füllen. Doch wisset, du, Herrscher, und ihr, seine Unter-
gebenen! Welches Ende auch kommen möge, ich tue dies
nicht um meiner geliebten Seidjurusch willen, ich gehe, die
durch sie befleckte Ehre ihrer stolzen Heimat zu verteidi-
gen, um in den Augen eures Volkes den Ruhm meines
fernen Landes wiederherzustellen. Die Gnade des All-
mächtigen wird mich zu diesem hohen, ruhmreichen Ziel
geleiten."
Auf Befehl des Khans
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