Das weisse Horn
brachten die Waffenschmiede sein
berühmtes goldenes Schwert, damit es auf ewig auf dem
Gipfel des Ak-Mjungus ruhen sollte. Die Klinge wurde
mit Wolfsfett übergössen und mit einem pechgetränkten
Stoff umwickelt. Viele Gäste des Khans ritten mit zum
Ak-Mjungus. Es war eine ganze Tagesreise bis dorthin,
und erst am Abend stiegen der Khan und sein Gefolge auf
einer großen Terrasse am Fuße des schrecklichen Berges
von den erschöpften Pferden. Der Khan befahl dem Fremd-
ling zu ruhen. Und der stolze Krieger schlief die ganze
Nacht über ruhig, von den Männern des Khans bewacht.
Ein düsterer, stürmischer Tag brach an. Es schien, als zürne
selbst der Himmel über die Verwegenheit des Tapferen.
Der Wind pfiff und stöhnte und umwehte das Hörn des Ak-
Mjungus. Der Fremdling entkleidete sich, band sich — fast
nackt — das Schwert des Khans suf den Rücken und warf
sich nur seinen weißen Burnus über.
Und er schaffte, was noch keinem Tapferen gelang, solange
der Ak-Mjungus steht. Er legte das Schwert auf den Gipfel
des Horns und kehrte zurück. Wankend stand er vor dem
Khan, zerschunden und mit Blut bedeckt.
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Der Khan hielt sein Wort.
Man führte Seidjurusdi zu dem Fremdling. Bei seinem
Anblick wich sie erschrocken zurück. Der Krieger aber
zog sie machtvoll an sich, enthüllte ihr wunderschönes
Antlitz, und sein düsterer Blick schien sich nicht davon
trennen zu können. Dann riß er blitzschnell das im Gürtel
versteckte Messer heraus und durdibohrte das Herz seiner
Braut. Mit wütendem Geheul stürzten sich die Söhne des
Khans auf den Fremdling, aber der Vater hielt sie zornig
zurück:
„Er hat für sie den höchsten Preis bezahlt, den ein Mensch
geben kann. Sie gehört ihm! Möge er unversehrt zurück-
kehren. Gebt ihm seine Waffen und sein Kamel!"
Der Fremdling verneigte sich stolz vor dem Khan, und bald
war er mit seinem großen weißen Kamel hinter den Ber-
gen verschwunden . . .
Der Paßgänger strauchelte einige Male, denn seine Hufe
glitten auf den Steinen aus. Die Wolken am Himmel wur-
den von dem starken Wind rasch dahingetrieben. Düster
und drohend standen die Berge.
Ussolzew stieg vom Pferd, streichelte es zärtlich, küßte
seine weichen Nüstern und tätschelte ihm den Hals. Der
Braune ging zur Seite, wandte den Kopf und blickte nach
seinem Herrn.
„Geh zur Weide", sagte Ussolzew streng und fühlte dabei,
wie ihm die Erregung den Hals zuschnürte.
Der Geologe legte alle überflüssige Bekleidung ab und
band an seinen Arm einen langstieligen Hammer. Er
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brauchte ihn nur zum Einschlagen der Haken und dann,
wenn es g e l a n g . . .
Ussolzew zog die Schuhe aus. Die scharfen Steine würden
ihm bald die Füße zerschneiden, doch er wußte, daß, wenn
er überhaupt hinaufklettern wollte, es nur barfuß möglich
war. Der Geologe hängte sich das Säckchen mit den Haken
um den Hals und ging auf die rote Säule der Pegmatit-
ader zu.
Er vergaß Umwelt und Zeit. Seine ganzen körperlichen
und geistigen Kräfte konzentrierten sich auf diese letzte,
vielleicht tödliche Anstrengung.
Es vergingen einige Stunden. Ussolzew, zitternd vor An-
spannung, blieb stehen und schmiegte sich an die steile
Felswand. Er befand sich schon weit oberhalb der Stelle,
wo er das letzte Mal rechts abgebogen war. Von der
Hauptader ging eine dünne Abzweigung von feinkörnigem
Pegmatit ab, die den Abhang schräg durchlief, nach oben
führte und dann links abbog. Ihr fester oberer Rand ragte
aus dem Schiefer kaum hervor und bildete einen zwei bis
drei Zentimeter breiten Sims. Entlang dieser Ader könnte
man sich dem abfallenden Westrand des Felsens nähern,
dort, wo er abbrach und in die steile nördliche Hauptwand
des Weißen Horns überging, die der Steppe zugewandt
war. Etwas weiter oben schien der Abhang nicht mehr so
steil zu sein, und man konnte hoffen, an ihm bedeutend
höher zu kommen. Ussolzew wollte in den Spalten des
Schiefers, über dem schmalen Sims der Ader, einige Haken
einschlagen und sich mit ihrer Hilfe auf dem schmalen
Vorsprung halten.
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Aber jetzt, als er an der Wand hing, in einer Höhe von
150 Metern, sah er ein, daß er nicht einmal für den winzi-
gen Bruchteil einer Sekunde eine Hand von dem Felsen
lösen konnte. Die Lage schien hoffnungslos. Um den vor-
springenden Grat zu umgehen und auf den schmalen Sims
zu gelangen, hätte er sich an irgend etwas festhalten müs-
sen. Er war aber nicht imstande, einen Haken
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