Das weisse Horn
massive, braune Kassi-
teritkristalle. Dieser Granit verfügte über eine Besonder-
31
heit, die Ussolzew bisher nicht gekannt hatte. Von dem
eigentlichen Granit war fast gar nichts übriggeblieben, an
seine Stelle war jetzt fester, milchweißer Quarz getreten.
Das sieht ganz nach einer veränderten Schichtintrusion*
aus, dachte Ussoizew. Wenn das stimmt, werden die Vor-
kommen unter der Steppe ungeheuer groß sein.
Der Geologe blickte nach unten. Jäh stürzte der Felsen ab,
und sein Fuß versank in dem vom Wind aufgewirbelten
Staub. Ussolzew stand wie auf einer unendlich hohen Säule
und fühlte sich grenzenlos einsam. Ihm schien, als ob zwi-
schen ihm und der Welt da unten jede Verbindung ab-
gerissen wäre. Und wirklich! Zwischen ihm und dem Leben
lag eine noch nicht überquerte tödliche Grenze. Der Ab-
stieg war gefährlicher als der Aufstieg. Er dachte daran,
daß, falls es ihm gegeben sein sollte, zum Leben zurück-
zukehren, er als anderer Mensch wiederkommen würde.
Die übermenschlichen Anstrengungen, die er für die Er-
reichung seines Zieles aufbringen mußte, hatten ihn ver-
ändert.
Doch mit Gewalt schob er diese Gedanken beiseite. Er ging
daran, seine Pflicht als Forscher zu erfüllen. Es kostete ihm
viel Mühe, die fadendünnen Spalten in dem glasartigen
Quarz zu finden. Unter den hartnäckigen Schlägen seines
Hammers flogen mit lautem Geprassel große Stücke des
weißen Gesteins herunter. Ussolzew sah, wie sie auf den
Grat des Felsens fielen und dann pfeifend ins Tal stürzten.
Die Fallrichtung trug er auf dem Plan ein, den er in seinem
* Eindringen von flüssiger Lava in abgelagerte Stauchten. Nach der Ab-kühlung blieb das ausgeworfene Gestein als Schicht liegen,
32
Notizbuch skizziert hatte, vermerkte dann sorgfältig alle
Gesteinslagerungen des Gipfels, zeichnete die Umrisse des
mutmaßlichen Vorkommens ein und fügte noch einige
Worte über seine Nachforschungen hinzu. Dann schlug er
die erste Seite des Buches auf und schrieb mit großen Buch-
staben schräg darüber: „Achtung! Hier sind die Angaben
über die von mir entdeckten Gesteinsvorkommen des
Weißen Horns!"
Er steckte das Notizbuch in seine Tasche und knöpfte sie zu.
Für Sekunden sah er das Bild, wie man seinen zerschlage-
nen Leichnam umwandte und in seinen Taschen nach Pa-
pieren suchte. Ussolzew kniff unwillkürlich seine Augen
zusammen. Dann rollte er das mitgenommene Seil auf. Es
war kurz, aber es mußte für den Abstieg bis zu den ein-
geschlagenen Haken genügen.
„Wo kann ich bloß das Seil befestigen? Hier an diesem
Vorsprung? Besser wäre es etwas tiefer, auf d e m '
Plateau..."
Während er einen Spalt suchte, begann er mit seinem
Hammer die dünne Geröllschicht wegzuräumen. Der Wind
wurde immer stärker, und die von ihm erfaßten kleinen
Gesteinssplitter schlugen Ussolzew ins Gesicht und auf die
Hände. Plötzlich schlug der Hammer auf Metall. Und dieser
leise Ton durchschauerte den Geologen. Ussolzew zog
unter dem Geröll ein langes, schweres Schwert hervor,
dessen goldener Griff hell glänzte. Von der Klinge flatter-
ten die Fetzen eines mit Pech getränkten Gewebes.
Ussolzew war wie versteinert. Das Bild des Kriegers, des
Bezwingers des Weißen Homs aus der Volkslegende, stand
3 Das Weiße Horn
33
leibhaftig vor ihm. Der Schatten der Vergangenheit, das
Gefühl, einer wirklich unsterblichen Tat eines Menschen
begegnet zu sein, erschütterte Ussolzew. Nach einer Weile
fühlte der Geologe, wie in seinen Körper neue Kräfte
strömten. Ihm schien es, ais würde sich auf dieser von nie-
mand sonst erreichten Höhe der sagenhafte Held mit auf-
munternden Worten an ihn wenden. Ussolzew schlang das
Seil um einen kleinen Vorsprung des weißen Gesteins.
Vorsichtig hob er das wertvolle Schwert auf, band es fest
auf seinen Rücken und legte mit einem Lächeln seinen
Geologenhammer auf das Plateau,
Am Fuß der Steilwand des Weißen Horns blieb der Geo-
loge stehen und suchte einen Weg. Eine dahintreibende
Wolke bewegte sich direkt auf ihn zu. In dem Flug der
großen weißen Masse, die so frei in der Luft hing, lag
etwas unerklärlich Freies und Kühnes. Ein leidenschaft-
licher Glaube an seine Kräfte erfaßte Ussolzew. Er hielt
seine Brust dem Wind entgegen, breitete seine Arme weit
aus und ließ sich aufrecht den Abhang hinab, wobei er nur
mit Hilfe des Windes sein Gleichgewicht hielt. Er freute
sich an seinem leichten Flug, und der Wind
Weitere Kostenlose Bücher