Das Weisse Kleid Des Todes
gesagt, schiene mir das auf jeden Fall besser für das Kind.«
Neuerliches Schweigen, das Reverend Fergusson durchbrach. »Entziehung des Sorgerechts?«
»Ja«, antwortete Russ. »In der Regel passiert das nach einer entsprechenden Empfehlung vom Jugendamt, sodass das Kind keinesfalls seinen Eltern zurückgegeben wird. Dauert oft Monate oder sogar Jahre, falls man versucht, die Familie wieder zusammenzuführen.« Er rieb sich die Stirn. »Das Kind bleibt solange bei Pflegeeltern.«
»Es sei denn, es handelt sich wie hier um einen Fall von Kindesaussetzung und die Eltern sind nicht zu ermitteln«, präzisierte Geoffrey Burns, wobei er sich im Rhythmus seiner Worte einen Finger in die Handfläche stieß.
»Hm«, wiederholte Russ bestätigend. »Es sei denn, die Eltern sind nicht zu ermitteln.«
2
D er Kinderarzt des Krankenhauses, ein Mann mit strahlenden Augen und viel zu jung, um Ruhe oder Sicherheit zu verströmen, trat hinter dem blauen Vorhang einer Untersuchungskabine hervor. »Oh, hey!«, sagte er. »Sie müssen die Burns sein! Ihre Pastorin hier hat mir schon von Ihnen erzählt. Hey, wollen Sie Cody vielleicht mal im Arm halten?« Er entriegelte den Brutkasten und hob das Baby mit sachkundigen Griffen heraus, um es Karen, noch ehe sie antworten konnte, in die Arme zu legen.
»Oh«, sagte sie verdattert. »Oh.« Ihr Mann fasste sie um die Taille und drehte Karen von den anderen weg. Russ, der weiterhin die Kopfschmerzen wegzureiben versuchte, die sich hinter seinen Brauen aufbauten, spürte die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich lasten.
Er sah kurz Reverend Fergusson an, die zu ihm statt zu den Möchtegern-Eltern hochblickte, und konnte den Gesichtsausdruck dieser Frau erst nach einem Moment identifizieren, so lange hatte er ihn nicht mehr gesehen: Mitgefühl.
Der Arzt versuchte, Durkee Bericht zu erstatten, aber der verwies ihn nicht minder hartnäckig mit einem Fingerzeig an Russ. »Hey«, sagte der Doktor, »sind Sie der Polizeichef? Angenehm.«
»Ganz meinerseits.« Über die Schulter des Mannes konnte Russ sehen, wie Reverend Fergusson den Mund verzog.
»Das Baby ist in sehr guter Verfassung«, erklärte der Arzt, während er einen schmalen Stoß Papiere hervorzog. »Hier eine Kopie des Untersuchungsberichts. Die Geburt dürfte etwa zwei, drei Tage zurückliegen. Keine Drogen im Kreislauf des Kindes feststellbar, keine Anzeichen für fötales Alkoholsyndrom, keine Spuren von Misshandlung. Die Nabelschnur wurde unfachmännisch durchtrennt und abgebunden, aber ordentlich gesäubert. Wir werden den nächsten Stuhlgang abwarten müssen, ich schätze allerdings, der Kleine wurde mit Babynahrung gefüttert.«
Während Russ den Bericht überflog, merkte er sich die Blutgruppe – AB negativ – und die Notiz, das Baby sei irgendwann in seinem kurzen Leben gebadet worden. »Okay«, sagte er. »Mark, holen Sie mir den Karton und die Decken. Mal sehen, ob wir daraus vielleicht schlauer werden. Und bleiben Sie bitte hier, bis jemand vom Jugendamt kommt, außer Sie kriegen ’nen Funkspruch.« Der Officer nickte und verschwand in der Untersuchungskabine, während Russ den Bericht zusammenfaltete und in seine Jackentasche steckte.
»Hier, bitte, Chief«, sagte Mark, als er mit dem Karton zurückkam, und übergab ihn Russ, der das Ding ohne viel Hoffnung in Augenschein nahm. Es handelte sich um eine robuste, neu aussehende Kiste mit dem Logo einer Obstplantage aus Finger Lakes. Wahrscheinlich hatten alle Supermarktketten und Gemüsegroßhändler solche Kisten in ihren Lagerhallen. Die Decken waren eine bunte Mischung: ein abgewetztes goldgelbes Polyesterding, eine schwere Kolter aus karierter Wolle und zwei aus Flanell, scheinbar nagelneu wie die Babydecken, die Russ’ Schwester dutzendweise besaß. Plötzlich sah er sich im Geiste von Tür zu Tür gehen und fragen: Erkennen Sie irgendeine dieser Decken, Ma’am? Und hat irgendjemand in Ihrer Familie kürzlich ein Kind geboren?
Reverend Fergusson war zu den Burns hinübergegangen und redete leise mit ihnen. Karen Burns sagte etwas, wobei sie ihren Mann ansah, der nickte, und alle drei senkten die Köpfe. Russ war wie vor die Stirn geschlagen, als er erkannte, dass sie beteten. Offen zur Schau gestellte Religiosität bereitete ihm Probleme, und es half auch nicht gerade, dass die Pastorin über den beiden das Kreuzzeichen machte und dann ihre Hände segnend auf das Baby legte. Sie war tatsächlich eine Priesterin. Lieber Gott! Waren die Episkopalen so wie
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