Das Weisse Kleid Des Todes
hat, um sich zu stellen und ihren Sohn zurückzufordern.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte Reverend Fergusson, an ihrer Unterlippe nagend. »Meine Güte. Vielleicht hätte ich auch nicht …«
Mit einem hydraulischen Zischen glitten die Türen der Notaufnahme auseinander. Russ erkannte den kleinen, bärtigen Mann in dem teuren Mantel und seine auffallende brünette Begleiterin, die hereintraten; aber selbst wenn er die beiden nie im Justizgebäude von Washington County gesehen hätte, dann hätte schon allein Reverend Fergussons Miene ihm auf Anhieb verraten, um wen es sich handelte.
»Wir sind auf dem schnellsten Weg gekommen«, sagte Geoffrey Burns knapp und mit gepresster Stimme. Sein Blick glitt durch den Behandlungsbereich und fiel dann auf den Brutkasten, den fast gleichzeitig auch seine Frau entdeckte.
»Oh …« Sie schlug sich eine makellos manikürte Hand vor den Mund. »Oh. Ist er das?«
Die Pastorin nickte und trat beiseite, damit die Burns das Baby ungehindert betrachten konnten. »O Geoff, sieh ihn dir nur an …« Karen Burns zögerte, als würde sich der Brutkasten in Luft auflösen, wenn man zu großes Interesse zeigte. Ihr Mann studierte das schlafende Baby einen Moment. »Wo ist der behandelnde Arzt?«, fragte er. Er sah zu Russ. »Chief Van Alstyne. Verstehe ich richtig, dass das Jugendamt es bislang nicht für nötig hielt, jemand herzuschicken?«
»Mr. Burns.« Russ nickte. »Ich nehme an, es wird bald jemand hier auftauchen. Die sind eben ein bisschen überlastet.«
»Oh, das kennt man ja«, erwiderte Geoff Burns.
»Ich vermute, Reverend Fergusson hat Sie wegen des Briefs verständigt, den man bei dem Baby fand?« Er warf der Pastorin einen vielsagenden Blick zu. Diese reckte ihr Kinn vor. »Ihr wisst, Leute, es ist viel, viel zu früh, um diesen Jungen als euer Kind zu betrachten. Egal, was seine Eltern schreiben.«
Karen Burns drehte sich zu ihm um. »Natürlich, Chief. Aber wir haben schon öfter als Pflegeeltern fungiert und beabsichtigen, darauf zu drängen, dass man Cody zu uns gibt.« Mrs. Burns besaß eine so perfekt modulierte Stimme, dass sie Russ sogar übers Radio etwas hätte verkaufen können. Russ warf einen Blick auf Burns – einen kleinen, dünnen Mann – und fragte sich, was sie an ihm fand. Russ’ eigene Frau sah zwar auch umwerfend gut aus, aber Karen Burns stellte sie weit in den Schatten.
»Im besten Interesse des Kindes sollte man es beim Fehlen von Blutsverwandten lieber Pflegeeltern anvertrauten, die sich bereits um seine Adoption beworben haben. Young gegen das Jugendamt.«
Bei dem Gesichtsausdruck des Juristen – aggressiv, die Brauen zusammengezogen – zuckte Russ leicht mit den Wimpern. »Wir sind hier nicht vor Gericht, Mr. Burns«, antwortete er. »Aber noch wissen wir nicht, ob es irgendwelche Blutsverwandten gibt. Nicht einmal, ob die Mutter das Kind freiwillig ausgesetzt hat.« Er verlagerte sein Gewicht bewusst nach vorn, um seine gut ein Meter neunzig als sichtbare Erinnerung daran einzusetzen, dass er hier das Sagen hatte. »Ist es nicht ein bisschen seltsam, dass ein berufstätiges Ehepaar wie Sie als Pflegeeltern fungiert?«
Karen Burns legte ihrem Mann eine Hand auf den Arm, um ihm von vornherein das Wort abzuschneiden. »Ich arbeite Teilzeit sowohl in der Kanzlei als auch zu Hause. Wann immer wir ein Kind in Pflege hatten, habe ich meine berufliche Tätigkeit weit zurückgestellt. Ganz einfach.«
»Ich versichere Ihnen, wir sind offiziell als Pflegeeltern anerkannt und erfüllen sämtliche Auflagen«, ergänzte Burns mit verkrampfter Miene. »Wir sind absolut bereit, die für ein Kind notwendigen Opfer zu bringen. Im Gegensatz zu den biologischen Eltern dieses Jungen.«
Karen Burns drehte an dem einzelnen goldenen Armreif, den sie trug. »Natürlich müssen Sie die Eltern suchen, Chief Van Alstyne. Wer sich solche Mühe gibt, damit sein Baby schnell gefunden wird, und die Bitte hinterlässt, wir sollten die Adoptiveltern werden, der würde die Suche auf jeden Fall gutheißen, da bin ich mir sicher.«
Ihr Mann redete fast gleichzeitig. »Wir haben die Absicht, sofort einen Antrag auf Entziehung des Sorgerechts zu stellen, wegen Aussetzen eines Kindes und fahrlässiger Körperverletzung.« Die beiden stockten, sahen einander an, dann wieder zu Russ, und redeten erneut gleichzeitig los.
»Ich hoffe, Sie finden die Mutter. Sie braucht auf jeden Fall Hilfe und Beratung.«
»Ich hoffe, Sie finden die Mutter nicht. Ehrlich
Weitere Kostenlose Bücher