Das weiße Krokodil
schauderhaften Vortrag über die buddhistische Lehre hielt. Die meisten verstanden und beachteten ihn nicht. Man unterhielt sich in Gruppen und stellte eigene Betrachtungen an, machte Blitzlichtaufnahmen und entzündete Räucherstäbchen, die der geschäftstüchtige Yen-sun von zwei Matrosen verkaufen ließ. Im übrigen fand man es ausgesprochen lustig, die Fußsohlen des im Nirwana-Zustand dargestellten Buddhas zu kitzeln. Der Spaß steigerte sich noch, als ein junger Mann einer Statue seine Sportmütze aufsetzte und sich so mit ihr fotografieren ließ. Sein Beispiel machte Schule; man war ja unter sich. Warum sollte man nicht einmal ausgelassen sein?
Das würdelose Gebaren wurde schließlich sogar dem mohammedanischen Malaien zuviel. »Aber, meine Herrschaften!« rief er vorwurfsvoll. »Bedenken Sie, bitte, daß Sie sich in einem buddhistischen Tempel befinden!«
Man schwieg betreten und war verstimmt.
»Gehen wir nach draußen!« raunte einer der Gäste.
Man folgte ihm, als sei er ein Leithammel.
»Und was machen wir nun?« fragte eine Dame, als man vor der Pagode stand.
Einer der Herren lachte. »Amüsieren wir uns mit den Affen!«
Seine Idee fand begeisterte Zustimmung.
»Aber wo sind die Biester?«
»Parbleu!« rief ein Franzose. »Sollten die nur auf dem Prospekt existieren?«
»He, where are the monkeys?« fuhr ein australischer Farmer den Malaien an.
»Hinter der Pagode«, antwortete Yen-suns Kompagnon. »Am Tage schlafen sie aber!«
»Die werden wir schon wach kriegen!« krächzte der Australier und setzte sich in Bewegung. »Ich habe daheim eine Farm und weiß mit Viehzeug und Weibern umzugehen!«
Seine Worte waren so recht dazu angetan, die gesunkene Stimmung zu heben und weitere Albernheiten auf den Plan zu rufen. Zum Teufel, ja, man befand sich auf der Reise und wollte sich vergnügen! Feste müssen gefeiert werden, wie sie fallen! Also ran an die Affen! Wer so blöd ist, über Tag zu schlafen, muß damit rechnen, gestört zu werden.
Der greise Tie-tie würde am Verstand der Menschheit gezweifelt haben, wenn er gesehen hätte, mit welcher Vehemenz die Ausflügler losrannten. Als seien sie von einem Bazillus befallen, rasten sie johlend hinter die Pagode, wo die geruhsam in den Bäumen schlafenden Makaken erschrocken hochfuhren und verständlicherweise sogleich ein infernalisches Geschrei anstimmten.
Derartiges hatte man noch nicht erlebt. Das wilde Gebaren der Tiere wurde als so herrlich aufregend empfunden, daß man alles Erdenkliche tat, um den Aufruhr zu verstärken. Man kreischte, klatschte in die Hände, drohte mit Sonnenschirmen, schoß Blitzlichter ab und warf zu guter Letzt sogar mit Steinen, was die Erregung der Makaken in grandioser Weise steigerte.
Die Affen, die einstmals Tie-tie aus Angst bombardiert hatten, wurden nun zum Spaß von Menschen beworfen, und es erwies sich, daß die Dschungelbewohner inzwischen vieles hinzugelernt hatten. Sie gingen nicht zum Gegenangriff über, sondern flüchteten in zurückliegende Bäume, in denen sie zwar ohrenbetäubend lärmten, sich aber ähnlich abwartend verhielten, wie Tie-tie es in den ersten Tagen getan hatte. Damit war aus dem einstigen Affentheater ein Drama geworden, in dem der Mensch eine unrühmliche Rolle spielte.
Aber wer erfaßt in Augenblicken der Massenhysterie die eigene Situation? Unter den Besuchern der Sandelholz-Pagode waren nur wenige, die sich abwandten. Die meisten fanden es großartig, etwas zu erleben, über das man noch lange sprechen konnte.
»Denen haben wir es gegeben!« strahlte der Australier, als die Affen sich so weit zurückgezogen hatten, daß sich der Aufenthalt hinter der Pagode nicht mehr lohnte. »Und das Schönste daran ist, daß ich einen Mordshunger dabei bekommen habe. By Jove, mein Magen knurrt, daß man es hören kann, und ich will verdammt sein, wenn ich mir nicht sofort meinen Verpflegungsbeutel hole!«
»That’s a good idea!« piepste eine Alte, und Sekunden später eilten an die fünfzig Ausflügler die Treppe zum See hinab.
Sehr zur Freude von Yen-sun, der seine Verkaufsartikel inzwischen auf einigen Stufen ausgebreitet hatte. Und es schien nichts zu geben, was nicht gekauft wurde: Horoskope, Windglöckchen, künstliche Blumen, Weihrauch, Buddhas in allen Größen, Fotos, Postkarten, Legendenbilder, Fahnen und zierliche Papierschirmchen, die als Symbole des Himmels angepriesen wurden, in Wirklichkeit jedoch zur Dekoration von Eisbechern hergestellt worden waren. Aber wer achtet schon
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