Das Weltgeheimnis (German Edition)
von der Sonne, entweder sie laufen auf Kreisbahnen um oder auf Ellipsen.
Das alles klingt in sich schlüssig. Wohlwill verweist aber gleichzeitig darauf, wie unabgeschlossen und in sich widersprüchlich Galileis Himmelsmechanik zumindest zu diesem Zeitpunkt noch ist. Unmittelbar nach der Veröffentlichung seiner Sonnenfleckenbeobachtungen greift er überraschend Keplers zentrale These von der motorischen Antriebskraft der Sonne auf, obschon sie ihm nach seinen Ausführungen zur »neutralen« Bewegung eigentlich völlig zuwiderlaufen laufen müsste.
In einem Brief an seinen Schüler Benedetto Castelli vom 21. Dezember 1613 bezeichnet es Galilei als »sehr wahrscheinlich und vernünftig«, dass die Sonne als oberstes Werkzeug der Natur, gleichsam als Herz der Welt, nicht nur – wie klar ersichtlich – Licht spendet, »sondern allen Planeten, welche sich um sie herumdrehen, Bewegung verleiht«. Es würde ausreichen, die Sonne zum Stillstand zu bringen, um das ganze System anzuhalten. Da sich die Sonne seinen Beobachtungen zufolge in derselben Richtung dreht, in der auch die Planeten um sie kreisen, drängt sich also auch ihm der Gedanke auf, dass beide Bewegungen miteinander zusammenhängen.
An dieser Idee hält Galilei mindestens einige Jahre fest, ohne dass er den Antrieb der Sonne näher charakterisieren würde. 1615 kommt er in zwei Briefen mit beinahe denselben Formulierungen darauf zurück. Die Entdeckung der Sonnenrotation führt ihn zumindest vorübergehend an Keplers Theorie heran.
Was Galilei hier »sehr wahrscheinlich und vernünftig« nennt, lässt sich mit seiner Bewegungstheorie und seinen sonstigen kosmologischen Gedanken allerdings nicht zusammenbringen. Diesen Widerspruch löst er nirgends auf, auch nicht, als er zwanzig Jahre später seinen berühmten Dialog vollendet, über den der folgenschwere Streit mit der Kirche ausbricht.
Ketzerische Gedanken
Galileis Freunde hatten ihn davor gewarnt, das freie geistige Umfeld der Universität Padua zu verlassen und in den Einflussbereich der Kirche zu ziehen. In Florenz kommen die ersten Angriffe gegen ihn aus den Reihen der Philosophen und haben nur zum Teil mit der kopernikanischen Theorie zu tun. Seine eigene Streitlust trägt wohl dazu bei, dass diese Auseinandersetzungen nach und nach heftiger werden. So wettert im November 1612 erstmals ein Dominikanerpater, Niccolò Lorini, gegen »Ipernicus oder wie er heißt«.
Kurz darauf muss Galileis Schrift über die Sonnenflecken durch die Zensur in Rom. Obschon er seine kopernikanischen Gedanken zu diesem Zeitpunkt noch ungefährdet äußern darf, wird er mehrfach dazu aufgefordert, das Manuskript zu überarbeiten.
Wie der Wissenschaftshistoriker William Shea und der Theologe Mariano Artigas dargelegt haben, versucht Galilei nun seinerseits, die Heilige Schrift zu seinen Gunsten auszuschlachten, bezeichnet die eigenen Ansichten als »von Gott inspiriert« und brandmarkt die seiner Gegner als »schriftwidrig«. Die Zensoren lassen das nicht durchgehen. Galilei darf weder behaupten, seine eigene Theorie stimme »mit den unbezweifelbaren Wahrheiten der Heiligen Schrift voll überein«, noch wird ihm erlaubt zu sagen, die seiner Gegner »widerspreche der Heiligen Schrift«. Am Ende muss er alle Verweise auf die Bibel streichen.
Der Brief an seinen Schüler Benedetto Castelli im Dezember 1613 markiert einen bemerkenswerten Wendepunkt in der Auseinandersetzung. Plötzlich zeigt sich die Mutter des toskanischen Großherzogs, Christine von Lothringen, beunruhigt durch die Anschuldigungen gegen Galilei. Um am Hof nicht in Misskredit zu geraten, sieht sich der Wissenschaftler erstmals dazu genötigt, in seinen Briefen an Castelli und später an die Großherzogsmutter schriftlich zu begründen, warum kein Widerspruch zwischen der kopernikanischen Theorie und der Bibel bestehe.
Die Bibel, so Galilei, mache nur Aussagen über das Seelenheil der Menschen. Sie sei nicht wörtlich zu nehmen, wenn es etwa um den Stillstand der Erde gehe. Er argumentiert hier ganz ähnlich wie Kepler, der im Vorwort seiner Neuen Astronomie geschrieben hatte, es sei nicht die Absicht der Heiligen Schrift, die Menschen über natürliche Dinge wie den Lauf der Gestirne zu belehren.
Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied in ihrer Argumentation: Im Gegensatz zu Kepler behauptet Galilei, den biblischen Schreibern sei der wahre Aufbau der Welt durchaus bekannt gewesen. Und so möchte er einige Bibelstellen doch wörtlich verstanden
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