Das Weltgeheimnis (German Edition)
die kopernikanische Lehre vor dem Gericht zu verteidigen – er verrät sie sogar. Beim zweiten Verhör am 12. April 1633 versteigt er sich zu der Behauptung, er habe im Dialog Kopernikus widerlegen wollen. Nur in seinem Übereifer und seiner Unachtsamkeit habe er für die falsche Seite zu gute Argumente ersonnen – eine offensichtliche Heuchelei und Verhöhnung des Gerichts.
Von dem Verhör kehrt Galilei nach Aussage des toskanischen Botschafters »mehr tot als lebendig« zurück. Er hat einen schweren Fehler begangen. Neben dem Papst fühlt sich nun auch das Heilige Offizium hintergangen.
Es folgen zwei weitere Verhöre bis zum endgültigen Urteil. Am 22. Juni 1633 führt man Galilei in einen schmucklosen Raum der Kirche Santa Maria sopra Minerva. Sieben Kardinäle sind zugegen, als der Neunundsechzigjährige niederkniet und den Urteilsspruch entgegennimmt.
Galilei wird dazu aufgefordert, seine Ketzerei sofort und öffentlich zu widerrufen. Das Buch werde verboten, er selbst zu einer unbefristeten Haftstrafe verurteilt. In den nächsten drei Jahren solle er jede Woche sieben Bußpsalmen sprechen. Immer noch kniend, verliest Galilei den für ihn vorbereiteten Widerruf und schwört der kopernikanischen Lehre ab: »Aufrichtigen Herzens und ungeheuchelten Glaubens« verabscheue er seine Irrtümer und Ketzereien.
Die Legende will es dabei nicht belassen. Sie gibt dem Wissenschaftler das letzte Wort: »Und sie bewegt sich doch!«, soll er gesagt haben, als er sich wieder von den Knien erhebt. Galilei ist klug genug, nun zu schweigen und alles zu tun, was die Kirche von ihm verlangt.
Heimkehr
Wenige Tage darauf verlässt er die Heilige Stadt in einem Zustand völliger Verzweiflung. Der toskanische Botschafter hat erreicht, dass seine Haft in einen Hausarrest im Palast des Erzbischofs Ascanio Piccolomini in Siena umgewandelt wird. Galilei aber verflucht die Wissenschaft und das Buch, das er geschrieben hat. Er verbringt schlaflose Nächte im Bischofspalast, schreiend und in Raserei, sodass Piccolomini daran denkt, ihn ans Bett zu fesseln, um Schlimmeres zu verhindern.
Seit Jahren ist Piccolomini ein Bewunderer Galileis. Er behandelt den Verurteilten wie einen Ehrengast und bemüht sich, ihn wieder aufzubauen, indem er andere Gelehrte zu Tischgesprächen einlädt oder ihn in aktuelle technische Debatten wie das Gießen einer neuen Glocke einbindet. Nach und nach gelingt es dem einfühlsamen Erzbischof, Galileis Gedanken wieder auf die Forschung zu lenken. Und zwar auf jene Experimente und materialwissenschaftlichen Studien, die seit Galileis Zeit in Padua liegen geblieben sind.
Damals hatte Galilei erstaunliche Wege und Methoden gefunden, kurze Zeitabschnitte zu messen und schnelle Fall- und Flugbewegungen festzuhalten; als einer der ersten Forscher hat er die Mechanik mathematisiert und dazu in seinem Labor gezielte Experimente durchgeführt. Auf diese Weise ist er unter anderem zu seinen Bewegungsgesetzen vorgestoßen.
Die wertvollen Ergebnisse und Manuskripte sind über all die Jahre unveröffentlicht geblieben, weil ihn das Fernrohr und die kopernikanische Theorie ganz in ihren Bann gezogen haben. Von der römischen Kirche verurteilt, beginnt der Wissenschaftler erst jetzt und unter dem Obdach, das ihm die Kirche in Siena gewährt, sein für die Wissenschaft bedeutendstes Werk zu schreiben: seinen Dialog über die Mechanik , eine der wichtigsten Grundlagen der modernen Physik.
Ein halbes Jahr später darf Galilei in seine Villa in Arcetri bei Florenz zurückkehren. Dort wird er den Rest seines Lebens unter Hausarrest verbringen. Weitgehend abgeschnitten vom Hof und nur noch durch Briefe in Kontakt mit anderen Gelehrten, schließt er seine Mechanik im hohen Alter ab. Ob er das Werk auch ohne die Verurteilung noch rechtzeitig angegangen wäre?
Sein Nachruhm ist in vielfacher Weise mit dem Inquisitionsprozess verknüpft. Durch die Verurteilung avanciert Galilei erst recht zum Helden. Mit der katholischen Kirche steht seinem Genie der mächtigste und vermeintlich finsterste Rivale gegenüber, der über Jahrhunderte hinweg als Erzfeind der Wissenschaft angeprangert werden wird.
Eine Pointe dabei: Nur der Papst hat den Forscher vor seiner größten Blamage bewahrt. Galilei meint nämlich, das kopernikanische System durch seine Gezeitentheorie beweisen zu können. Dieser Beweis ist aber nicht schlüssig, und glücklicherweise hat der Papst darauf bestanden, dass der ursprüngliche Titel Dialog über Ebbe und Flut
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