Das Weltgeheimnis (German Edition)
stete Wechsel von Ebbe und Flut nur dann begreiflich ist, wenn sich die Erde bewegt. In dem Hin- und Herschwappen der Meere sieht Galilei einen klaren Beleg für die kopernikanische Theorie. Deshalb hat er sein Buch zuerst Dialog über Ebbe und Flut nennen wollen. Der Papst ist gegen diesen Titel. Überhaupt passt es ihm eigentlich nicht, dass Galilei die kopernikanische These so unverblümt vertreten will.
Riccardi steckt in der Klemme. Hinzu kommt, dass Galilei nicht noch länger auf eine Genehmigung warten will. Da eine Antwort aus Rom schon seit Monaten aussteht, schaltet er den Großherzog der Toskana ein. Von nun an übt der toskanische Botschafter in Rom Druck auf Riccardi aus – so lange, bis dieser schließlich nachgibt.
Dies tut er allerdings nur unter der Bedingung, dass Galilei im Vor- und Nachwort deutlich macht, die kopernikanische Theorie lediglich als Hypothese vertreten zu wollen. Im Juli 1631 schickt er ihm ein entsprechendes Vorwort und die Anweisung zu, am Schluss des Buches müssten noch einmal dieselben Argumente wie in der Einleitung aufgegriffen werden. Danach gibt Riccardi die Verantwortung schlechten Gewissens an den Inquisitor in Florenz ab, der die Gedanken des Papstes noch weniger kennt als er.
Die Verurteilung
Das bis dahin größte Werk Galileis wird Anfang 1632 in Florenz gedruckt. Zur selben Zeit kommt es im Vatikan zu einem Eklat: Der Wortführer der spanischen Opposition, Kardinal Borgia, greift Urban VIII. wegen seiner mangelnden Unterstützung im Kampf gegen die Protestanten scharf an. Er hält ihm vor, entweder nicht willens oder nicht imstande zu sein, die Interessen der katholischen Kirche zu verteidigen. Unter den anwesenden Kardinälen bricht ein Tumult aus, die Schweizergarde muss einschreiten, um die drohenden Handgreiflichkeiten abzuwenden.
Nach diesem Vorfall zieht sich Urban VIII. wutentbrannt in seine Residenz zurück, das prächtige Castel Gandolfo, das er sich außerhalb Roms hat anlegen lassen. Aus Angst vor einem Attentat empfängt er vorerst niemanden mehr, überall wittert er Verschwörung und Konspiration, entlässt hochrangige Mitarbeiter wie seinen Sekretär Giovanni Ciampoli, einen wichtigen Fürsprecher Galileis.
Die Krise der katholischen Kriegsparteien wird plötzlich vielerorts in Europa zur Schicksalsfrage Einzelner. Der Schwedenkönig Gustav Adolf hat mittlerweile nahezu das gesamte Reichsgebiet jenseits der Alpen unter seine Kontrolle gebracht. Im Frühjahr 1632 ruft der Kaiser in höchster Bedrängnis den zwei Jahre zuvor entlassenen Wallenstein an die Spitze des Heeres zurück. Der kluge Stratege kommt, sieht und siegt noch im selben Jahr gegen die Schweden und Gustav Adolf fällt – nur zwei Jahre später lässt der Kaiser den ihm zu mächtig gewordenen Wallenstein ermorden.
In den Turbulenzen des Krieges droht selbst Urban VIII. seine Autorität einzubüßen. Nie zuvor haben es die Kardinäle gewagt, dem Papst unmissverständlich ins Gesicht zu sagen, dass er in Rom nicht seine persönlichen und familiären Interessen zu verteidigen habe, sondern die der Kirche. Von nun an schlägt Urban VIII. einen anderen Kurs ein.
Galileis soeben gedruckter Dialog fällt ihm am Tiefpunkt seines Pontifikats in die Hände. Er hatte Galilei einen hypothetischen Ausgang für das Werk aufgetragen, an dessen Schluss die Allmacht Gottes stehen sollte. Doch gerade diese Passage hat Galilei dem dümmsten der drei Gesprächspartner in den Mund gelegt: Simplicio. Es bedarf wohl nur noch weniger Hinweise von außen, den Papst glauben zu machen, dass eben dieser Simplicio eine Karikatur seiner selbst sein soll.
Urban VIII. ist aufgebracht. Nach Ciampoli nun also auch Galilei! Als der toskanische Botschafter, Francesco Niccolini, ihm bei einer Audienz entgegnet, Galilei habe alle Wege der Zensur ordnungsgemäß durchlaufen, reagiert Urban VIII. mit einem Zornesausbruch. Derselbe Papst, der vorher hatte verlauten lassen, unter ihm wäre es niemals zu einem Dekret gegen Kopernikus gekommen, bezeichnet Galileis Buch nun als schlimmste Schädigung der Kirche. Man werde jedes einzelne Wort darin prüfen.
Der sich anschließende Inquisitionsprozess wird bis heute von Wissenschaftlern, Theologen und Historikern kontrovers diskutiert. Weder ist er ein Ruhmesblatt für die Kirche, deren Zensur versagt hat und deren Inquisitoren mit dem Inhalt des Werks überfordert sind, noch für den Angeklagten.
Galilei ist kein Märtyrer der Wissenschaft. Nicht nur unterlässt er es,
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