Das Weltgeheimnis (German Edition)
zu freuen. Wer nie verzweifle, sei sich nie einer Sache sicher, so sein Kommentar zu den letzten Verirrungen im theoretischen Gestrüpp.
In seinem Brief an den Mathematiker David Fabricius vom Oktober 1605 sah er dann bereits das rettende Ufer vor Augen. »Nun aber habe ich das Ergebnis, mein Fabricius: Die Planetenbahn ist eine vollkommene Ellipse.« Es ist das unbedingte Vertrauen in die Präzisionsmessungen Tycho Brahes, das ihn schließlich zu diesem Resultat gebracht hat.
Damit hat Kepler das kopernikanische Modell in eine völlig neue Form gegossen. Er hat die Sonne tatsächlich ins Zentrum der Welt gerückt, die Bewegungen der Planeten erstmals auf Anziehungskräfte, also auf physikalische Ursachen zurückgeführt und jedem Planeten eine klar definierte Bahn zugeschrieben. Sein epochales Werk ist die Basis der modernen Astronomie, auf der Isaac Newton achtzig Jahre später die allgemeine Gravitationstheorie formulieren wird.
Bis ins kleinste Detail hinein beschreibt Kepler seine langjährige Odyssee. Sie liegt nun glücklicherweise hinter ihm, das Buch, die Neue Astronomie , das er Seiner Majestät, dem Kaiser, gewidmet hat, ist endlich gedruckt.
Der Kaiser in Nöten
Als Kepler Rudolf II. das Werk überreichen möchte, steckt dieser in einer der schwersten Krisen seiner Regierungszeit. Der Streit mit seinem Bruder Matthias hat sich so weit zugespitzt, dass die Zukunft des ganzen Reiches auf dem Spiel steht. Der wechselseitige Hass der beiden Habsburger setzt Kräfte frei, die die Bevölkerung in Böhmen und anderen Teilen des Reiches aufwiegeln und ein paar Jahre später im Dreißigjährigen Krieg eskalieren.
Matthias hat sich mit den protestantischen Ständen von Österreich, Ungarn und Mähren verbündet und seinem Bruder auf diese Weise einen Großteil der Macht entrissen. Um wenigstens in Böhmen Herr zu bleiben, muss Rudolf II. dem protestantischen Adel nun auch in seinem Hoheitsgebiet weitreichende Zugeständnisse machen. Die unangenehmen Verhandlungen hat er lange hinausgezögert und dabei so ungeschickt agiert, dass ihm die böhmischen Stände nun mit den Waffen drohen.
Am 9. Juli 1609, dem siebten Geburtstag von Keplers Tochter Susanna, kann endlich eine Einigung erzwungen werden. Im sogenannten Majestätsbrief tritt Rudolf II. einen Teil seiner Macht ab und sichert den Protestanten zu, dass sie »ihre Religion frei und unbehindert ausüben dürfen«. Während die Jesuiten im Zuge der Gegenreformationen landauf, landab katholische Schulen und Universitäten gründen und immer mehr Menschen dazu bewegen, zum alten Glauben zurückzukehren, gestattet der Kaiser den Protestanten, neue »Gotteshäuser und Kirchen zum Gottesdienst oder auch Schulen zur Bildung der Jugend« zu errichten.
Unter Beifallsstürmen der Bevölkerung wird der Majestätsbrief am Rathaus ausgehängt. Ganz Prag feiert ein Freudenfest. Auch Kepler, der seines Glaubens wegen seinen vorherigen Posten in Graz verloren hat, nimmt die Nachricht begeistert auf. »Wir haben durch Gottes Gnade gesiegt«, schreibt er an den Theologieprofessor Stephan Gerlach in Tübingen. »Man hält öffentlich deutsche Predigten in Kirchen und Wohnhäusern.«
Die katholische Fraktion am Hof dagegen ist in heller Aufregung. Wie lange wird sich der Kaiser nach dieser Demütigung noch halten können? Hinter den Kulissen spricht man von seiner baldigen Ablösung, einige Diplomaten träumen sogar von einem neuen katholischen Bündnis unter spanischer Führung, um das zerfallene Reich Karls V. wieder zu errichten, in dem die Sonne nicht unterging.
Nicht nur die Souveränität Rudolfs II., auch seine moralische Integrität ist angeknackst. Neben dem Majestätsbrief wird am Hof der mysteriöse Tod Don Julios heiß diskutiert, über den erst nach und nach Einzelheiten durchsickern.
Don Julio war der Lieblingssohn Rudolfs II., eines seiner zahlreichen unehelichen Kinder. Aber je älter er wurde, umso weniger Freude hatte der Kaiser an ihm. Insbesondere Don Julios sexuelle Neigungen nahmen krankhafte Züge an. In seiner Residenz auf Schloss Krumau an der Moldau führte er sich auf wie ein Tyrann.
Eine seiner Geliebten warf er, nachdem er sie zusammengeschlagen und mit Messerstichen traktiert hatte, in den Schlossteich. Die Tochter des Krumauer Baders überlebte das Verbrechen – und Don Julio forderte sie nach ihrer Genesung sofort zurück. Er ließ den Vater einkerkern, drohte ihm mit dem Galgen und bewog das Mädchen dadurch dazu, zu ihm zurückzukehren,
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