Das Weltgeheimnis (German Edition)
alles, was auch nur im Entferntesten mit der Sternkunde zu tun hat. Außerdem hat er ein Faible für optische Phänomene, sammelt Kristallkugeln, Linsen und gewölbte Spiegel aus Glas und Bergkristall, die die Gegenstände vergrößern oder verkleinern. Eines der Prachtexemplare in der reichen kaiserlichen Kunstkammer, die sich über vier Räume erstreckt und nicht zuletzt der Forschung und alchemistischen Experimenten dient, ist ein Spiegel von 1,90 Metern Durchmesser auf einem zweieinhalb Meter hohen Gestell.
Natürlich darf auch das in Flandern erfundene Fernrohr in seiner Galerie nicht fehlen. Über zahlreiche Mittelsmänner besorgt sich Rudolf II. die jeweils neuesten Versionen des Vergrößerungsinstruments. Das Inventar aus dem Jahr 1611 verzeichnet achtzehn verschiedene Fernrohre, viele davon aus Venedig.
Wenn man Keplers Äußerungen Glauben schenken darf, richtet der Kaiser aber schon im Januar 1610 ein primitives Fernrohr zum Himmel – just zu der Zeit, als Galilei den Mond von Padua aus mit dem Fernrohr betrachtet und seine wunderbaren Zeichnungen der Mondoberfläche anfertigt. Kepler nimmt die Sache nicht sonderlich ernst. Er beachtet das kleine Guckrohr nicht weiter. Was soll er mit dem Spielzeug? Der seit seiner Geburt kurzsichtige Astronom verspricht sich nicht viel von einer zwei- oder dreifachen Vergrößerung. Anders als Galilei sieht er das Potenzial dieser Erfindung zunächst nicht.
Seine Majestät, Kaiser Rudolf II., dagegen ist begeistert: Er sei überzeugt davon, in den Flecken des Mondes spiegele sich das Antlitz der Erde, notiert Kepler. Der Kaiser sei »in der Meinung befangen, dass die Bilder und Kontinente der Erde vom Monde wie von einem Spiegel zurückkommen. Vor allem führte er an, ihm komme es so vor, als sehe er das Bild von Italien mit den beiden daran anstoßenden Inseln ausgeprägt.«
In Keplers Augen eine Schnapsidee, die ihm aus antiken Schriften geläufig ist. Wenn es sich tatsächlich so verhielte, müsste sich das Spiegelbild verändern, während der Mond am Himmel seine Bahnen zieht. Der Mond aber zeigt den Erdbewohnern stets dasselbe eigentümliche Gesicht.
Die astronomischen Neigungen des Kaisers beunruhigen Kepler bisweilen mehr, als dass er sich über sie freuen kann. Während der schwermütige Herrscher zu den Sternen schaut, kehrt er dringenden Reichsgeschäften den Rücken. Um den Bruderzwist beizulegen, schlagen unter anderen die Spanier vor, ein Treffen der katholischen Reichfürsten und Erzherzoge in Prag einzuberufen. Denn im Westen des Reiches ist ein Erbstreit um das kleine Herzogtum Jülich-Berg entbrannt. Die deutschen Protestanten haben in dieser Angelegenheit ein Bündnis mit Heinrich IV., dem König von Frankreich, geschlossen, der eine schlagkräftige Armee zusammentrommelt.
Rudolf II. weiß nicht, ob eine solche Zusammenkunft in Prag Gutes für ihn bedeutet. Er hofft zwar darauf, die Fürsten bei dieser Gelegenheit auf seine Seite ziehen und gegen seinen Bruder Matthias einnehmen zu können. Aber schon kurz nachdem im Januar 1610 die Einladungen verschickt sind, möchte der zaudernde Kaiser die Verhandlungen am liebsten wieder abblasen.
Kepler blickt sorgenvoll in die Zukunft. Schon mehrfach hat er sich an den Herzog von Württemberg und an seine ehemalige Universität Tübingen gewandt, um vielleicht dort eine sichere Stelle zu finden. Bislang ohne Erfolg. Genauso vergeblich spekuliert er auf einen Posten an der Universität Wittenberg.
Auch wartet er schon den ganzen Winter über auf irgendein Echo auf seine Neue Astronomie . Wie werden die Kollegen auf seine Himmelsphysik reagieren? Was werden sie zu der Ellipsenbahn sagen, die den Lauf des Planeten Mars so präzise wiedergibt?
Bisher ist die erhoffte Resonanz ausgeblieben. Zwei lächerliche Briefe von Giovanni Antonio Magini! Der Astronom aus Bologna äußert sich nicht einmal zu den Planetengesetzen, er hat sich an einem dummen Rechenfehler festgebissen.
Kepler quält sich mit einer Erwiderung herum. Gerne würde er Magini für eine Zusammenarbeit gewinnen, denn er möchte eine möglichst verlässliche astronomische Datensammlung herausgeben, die die Positionen der Gestirne für die beiden zurückliegenden und die kommenden sechs Jahrzehnte enthalten soll – ein Vorhaben, das er kaum allein bewältigen kann.
Schließlich wendet er sich an den Kollegen in Bologna und bittet ihn um seine Hilfe. Einen Anfang habe er bereits mit dem Mars gemacht, schreibt er nach Italien. »Wenn ich
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