Das Weltgeheimnis (German Edition)
wird man besagte Drähte teils durch das Gehör, teils dadurch, dass die Hand bei jedem Draht das Hindernis spürt, mit Leichtigkeit zählen können.«
Galileos Messkunst muss in den Ohren seines Vaters wie Musik geklungen haben. Vincenzo Galilei erlebt die experimentellen Fortschritte seines Sohnes hautnah mit, vermutlich teilen sich Vater und Sohn zu dieser Zeit sogar ein Arbeitszimmer. Während der Lautenspieler und Musiktheoretiker Vincenzo Galilei die Tonhöhen von Darm-, Messing- und Goldsaiten unterschiedlicher Länge, Dicke und Spannung untersucht, stimmt sich der Mathematiker Galileo Galilei mit seiner drahtumwundenen Balkenwaage auf seinen neuen Beruf ein.
Von der Erfahrung zum Experiment
Vitruv zufolge orientierte sich Archimedes an einer einfachen Sinneserfahrung: dem Überlaufen des Wassers in der Wanne. Galilei traut dieser Darstellung nicht, denn die überbordende Wassermenge kann nicht mit der erforderlichen Präzision gemessen werden. Ein derart grobes Verfahren scheint ihm eines Archimedes nicht würdig. Galileis eigenes Experiment ist viel genauer. Es hebt sich deutlich von der alltäglichen Erfahrung ab, ist weniger anschaulich und stärker theoretisch begründet. Die archimedische Lehre vom Auftrieb erlaubt es ihm, die Ausgangsfrage mathematisch neu zu formulieren und daraus eine neue Messmethode abzuleiten: die »hydrostatische Wägung«, zuerst in der Luft, dann im Wasser.
Von dieser Art der methodischen Befragung der Natur durch ein Zusammenspiel von Theorie und Experiment macht Galilei immer wieder Gebrauch. Sukzessive abstrahiert er von vertrauten Erfahrungen. Das Beispiel der hydrostatischen Waage ist dabei noch vergleichsweise simpel und das Instrument nicht einmal neu.
»Es ist möglich, dass Galilei und seine Zeitgenossen selbstständig zu ihren Resultaten gelangt sind, doch steht auch der Annahme nichts im Wege, dass sie aus alten Quellen geschöpft haben«, schreibt Thomas Ibel in einer Studie über die Geschichte der Waage. Hydrostatische Waagen seien unter anderem im 12. Jahrhundert von dem Physiker Al-Chazini gebaut worden. Kenntnisse darüber könnten etwa über die Wege des Edelsteinhandels mit dem Orient nach Italien gelangt sein.
Galilei selbst stellt die hydrostatische Waage als Erfindung des großen Archimedes vor, von dessen Glanz nun ein wenig auf ihn abfärben soll. Denn sein Ziel ist eine Professur an einer nahen Universität und irgendwann vielleicht eine Anstellung am Hof, wie sie sein Lehrer Ostilio Ricci innehat. Um seine Aussichten auf einen solchen Posten zu verbessern, muss er seine mathematischen Fähigkeiten allerdings auch auf andere Weise demonstrieren.
Zum Glück ist Archimedes eine reichhaltige Quelle geometrischer Lehrsätze. Galilei vertieft sich in dessen Schriften zum Schwerpunkt, arbeitet sich Schritt für Schritt in die archimedische Wissenschaft ein und macht sich die geometrische Sprache des Griechen zu eigen. Die Algebra dagegen benutzt er, ähnlich wie Kepler, kaum. Und das, obwohl sie gerade einen enormen Aufschwung erlebt.
In Europa hat sich die indisch-arabische Ziffernschreibweise inzwischen gegenüber der römischen Zahlennotation durchgesetzt. Römische Ziffern ließen sich zwar ganz gut in Stein meißeln, zum Rechnen aber waren sie denkbar sperrig.
Im 16. Jahrhundert präsentieren populäre Bücher wie die des deutschen Rechenmeisters Adam Ries die Grundrechenarten in der uns heute vertrauten Form. Auch in Florenz gibt es viele Schulen, an denen Kaufleute das schriftliche Rechnen ohne Rechenbrett und Rechensteine erlernen. Das spart zwar zunächst kaum Zeit bei einfachen Rechenoperationen oder bei der doppelten Buchführung, aber die neue Schreibweise eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, Beziehungen zwischen den Zahlen herzustellen: Sie erlaubt die Darstellung in Form von mathematischen Gleichungen.
Einer der Pioniere auf diesem Forschungsgebiet ist Girolamo Cardano. In seinem Großen Buch der Algebra löst der 1501 in Pavia geborene Mathematiker und Astrologe Gleichungen mit quadratischen Termen, solche dritten und vierten Grades. Er rechnet mit negativen Zahlen genauso wie mit positiven und macht selbst um komplexe Zahlen keinen Bogen.
Galilei nimmt kaum Anteil an der rasanten Entwicklung der Algebra. Seine rein geometrischen Beweise befremden heutige, mathematisch versierte Leser, an etlichen Stellen kommt uns seine Notation umständlich vor. Außerdem hört seine mathematische Neugier oft genau da auf, wo es für Liebhaber der
Weitere Kostenlose Bücher