Das Weltgeheimnis (German Edition)
und zwar im selben Maß, in dem ihr Gewicht zunimmt. Als Experimentator hat Galilei wenig Mühe nachzuweisen, dass das nicht stimmen kann – Aristoteles führt die Fallbewegung hier zwar auf irgendwie plausible Prinzipien, nicht aber auf wirkliche Messungen zurück.
Er selbst greift einmal mehr auf Archimedes, genauer gesagt auf dessen Buch Über schwimmende Körper zurück und vergleicht die Fallbewegung in der Luft mit der im Wasser. Während im Wasser manche Objekte gar nicht sinken, sondern, im Gegenteil, aufsteigen und schwimmen, setzt die Luft fallenden Körpern einen viel geringeren Widerstand entgegen. So nähern sich die Fallgeschwindigkeiten unterschiedlich schwerer Objekte in der Luft einander an.
Dieser Vergleich führt Galilei zu der These, dass im Vakuum alle Körper gleich schnell fallen würden. Er kann zwar selbst kein Vakuum herstellen, um die Theorie zu prüfen – das wird erst seinem Schüler und Nachfolger am Florentiner Hof Evangelista Torricelli gelingen. Aber indem er Kräfte wie die Reibung im Experiment reduziert und gedanklich separiert, stößt er zu einfachen Bewegungsgesetzen vor, die sich mathematisch beschreiben lassen.
Die Verbindung aus Erfahrung, mathematischer Theoriebildung und gezielten Experimenten leitet den Wandel hin zu den modernen Naturwissenschaften ein. Erst durch dieses Zusammenspiel erreichen Galilei und andere Wissenschaftler in der Physik eine neue Stufe der Erkenntnis.
Ein weiteres Beispiel für den Methodenwandel ist die schiefe Ebene, mit der Galilei viel experimentiert. Setzt man eine nahezu perfekte Kugel auf eine glatt polierte, leicht geneigte Oberfläche, beginnt sie, auf natürliche Weise abwärtszurollen. Stößt man sie in der Gegenrichtung an, kommt die gewaltsame Bewegung irgendwann zum Stillstand und kehrt sich um. Was aber, wenn die Ebene weder nach unten noch nach oben geneigt ist, sondern völlig eben? Dann, so Galilei, ändert sie ihre Geschwindigkeit nicht, die Kugel setzt ihre Bewegung unbegrenzt fort.
Die Kühnheit dieses Gedankens liegt nicht bloß darin, dass es in der Realität immer irgendwelche Widerstände gibt, die den Fortgang einer Bewegung bremsen, und Galilei seine Behauptung daher schwerlich experimentell beweisen kann. Nein, allein die Vorstellung ist seinerzeit ungeheuerlich, dass es irgendeine Form der Bewegung geben könnte, die ohne eine sie erhaltende Kraft vonstattengeht.
Mit solchen Experimenten steht Galilei aber nicht alleine da. »Das Zeitalter der wissenschaftlichen Revolution, das sich mit Galileis Namen verbindet, ist auch ein Zeitalter der Parallelentdeckungen«, so der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn. Thomas Harriot etwa, den man zu Recht als den »englischen Galilei« ansehen könne, findet unabhängig von ihm das Fallgesetz und macht ganz ähnliche Berechnungen zur Wurfbewegung. Harriot veröffentlicht seine Ergebnisse allerdings nie, Galilei die seinigen erst im Alter von 74 Jahren. Seine Schrift zur Mechanik wird sein Lebenswerk krönen.
Galilei wird berühmt für die Art und Weise, wie er die Natur im eigenen Labor erforscht, Messungen macht, Tabellen erstellt und daraus mathematische Gesetzmäßigkeiten ableitet. Dabei ist er immer auf der Hut vor störenden Einflüssen wie der Reibung oder dem Luftwiderstand, die sich gar nicht oder nur schwer quantifizieren lassen. Schon deshalb traut er mal den Experimenten mehr, ein andermal eher seiner Intuition oder der Theorie. Allerdings genießt Letztere in seinen Augen den höchsten Stellenwert. Er schreckt nicht davor zurück, sich im entscheidenden Moment über experimentelle Befunde hinwegzusetzen, die den mühsam geschaffenen theoretischen Rahmen zu sprengen drohen.
Schließlich wird er behaupten, das »große Buch der Philosophie« sei in der Sprache der Mathematik geschrieben. Galileis berühmter Ausspruch macht deutlich, worin er die wichtigste Quelle der Erkenntnis sieht und wie sehr er sich dem aristotelischen Empirismus überlegen fühlt: Nur der Mathematiker kennt die Zeichen und geometrischen Figuren, in denen das Buch der Philosophie verfasst ist. »Ohne sie ist es ein vergebliches Umherirren in einem dunklen Labyrinth.«
Mit den Experimenten zur schiefen Ebene beginnt Galilei wahrscheinlich bereits als Mathematikprofessor in Pisa. Sie sind wegweisend für die Entdeckung des Fallgesetzes, das Galilei allerdings – anders als die Legende besagt – nicht bei Versuchen auf dem »Schiefen Turm« von Pisa findet. Die drei Sekunden, die ein Stein
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